141 - Dämonenbilder sieht man nicht
ist er verschwunden?"
Unga trat ans Fenster, von dem aus das Nachbarhaus zu sehen war. Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. Für eine Weile schien er völlig geistesabwesend zu sein.
„Eine Aura der Finsternis liegt über dem Haus", sagte er schließlich. „Dort geschehen Dinge, die sich nicht mit dem normalen menschlichen Vorstellungsvermögen erklären lassen."
„Du meinst, Burian könnte ebenfalls darauf aufmerksam geworden sein?"
„Ich weiß es nicht", sagte Unga.
„Heben wir das Nest einfach aus."
„Nichts überstürzen, Kleiner. Wir sollten die Beisetzung morgen früh abwarten. Womöglich taucht Burian doch noch auf."
„Sagen Sie, was suchen Sie eigentlich?" Ohne anzuklopfen betrat die Wirtin unvermittelt wieder das Zimmer. Sie hatte mehr sagen wollen, doch das Wort blieb ihr im Hals stecken, als sie Donald Chapman entdeckte, der sich nicht mehr rechtzeitig hatte verbergen können. Ihr spitzer Aufschrei hatte etwas Hysterisches an sich.
„Was ist mit Ihnen?" erkundigte Unga sich besorgt.
„Da… da… das…“, stammelte die Wirtin. Zitternd deutete sie auf das Fensterbrett, auf dem der Puppenmann eben noch gekauert hatte. Jetzt war er verschwunden.
„Sie sind ja völlig außer sich", stellte Unga fest. „Glauben Sie mir, Sie brauchen dringend Ruhe. Zu guter Letzt sehen Sie schon Dinge, die es gar nicht gibt." Er faßte die völlig verdatterte Frau an den Schultern und drückte die aufs Bett nieder. Bevor sie protestieren konnte, verließ er dann das Zimmer.
„Nicht so schnell", jammerte Don, der sich krampfhaft an seinem Hosenbein festhielt. „Aber eines muß dir der Neid lassen: Du kannst mit Frauen umgehen."
Der Morgen war neblig, und die Sonne stand lediglich als fahler, verwaschener Fleck hinter dem Dunst. Klamm legte sich die Feuchtigkeit auf die Teilnehmer des Leichenzugs. Einige Neugierige standen abseits zwischen den Gräbern und blickten den Sargträgern und den wenigen Frauen und Männern hinterher, die sich dem Zug angeschlossen hatten.
Vergeblich versuchte Unga, der allein schon seiner Größe wegen alle anderen überragte, Burian Wagner zu entdecken.
„Siehst du ihn?" wisperte es unter seinem Sakko hervor. „Er ist nicht da."
Chapman schimpfte leise vor sich hin. Er murmelte etwas von sofort suchen und Hilfe herbeiholen, doch Unga achtete nicht auf ihn. Elsbeths Mutter und andere aus der Verwandtschaft der Grubers hatten ihm schon wiederholt forschende Blicke zugeworfen. Er wollte ihr Mißtrauen oder gar ihre Ablehnung nicht herausfordern.
Elsbeths Sarg war erst am vergangenen Abend zum Friedhof gebracht worden. Nach der vorgenommenen Obduktion und nachdem die Staatsanwaltschaft sich mit dem Todesfall beschäftigt hatte, war er nicht mehr geöffnet worden. Unga konnte verstehen, daß es manchen Trauergästen nun besonders schwer fiel, Abschied zu nehmen.
Jemand schluchzte verhalten. Gerda Gruber wurde von zwei Männern gestützt, die sie untergehakt hatten. Ihr Gesicht war hinter einem schwarzen Schleier verborgen. In der Hand hielt sie drei dunkelrote Rosen.
Die Träger blieben neben dem offenen Grab stehen und setzten den Sarg vorsichtig ab. Es war eng. Sogar die Verwandten waren gezwungen, sich in die Gänge zwischen den anderen Gräbern zu stellen.
Der Pfarrer sprach einige Worte, die den Schmerz der Trauernden lindern sollten, doch so recht wollte sich der Trost nicht einstellen. Es mochte am Nebel liegen, der sich in immer dichteren Schwaden herabsenkte, oder daran, daß er einfach nicht den richtigen Ton fand. Der vermeintliche Selbstmord des jungen Mädchens hatte auch ihn getroffen.
,,… vielleicht wird niemand je erfahren, weshalb sie in der Blüte ihres Lebens von uns ging. In stummer Trauer verneigen wir uns vor dem Endgültigen, vor dem unermeßlichen Ratschlag des dreieinigen Gottes, dem es gefallen hat, Elsbeth zu sich zu rufen und damit uns alle zu prüfen…"
Die Träger nickten sich unmerklich zu. Einer von ihnen zog die Hölzer weg, auf denen der Sarg noch ruhte. Jetzt hing er nur mehr an den beiden armdicken Seilen, an denen er langsam hinabgelassen wurde.
Und dann geschah es… Der Nebel mochte den Hanf aufgeweicht haben. Jedenfalls waren die Seile glitschig geworden und schwer zu halten.
Einer der Träger stieß einen entsetzten Ausruf aus, als ihm das Seil durch die Finger glitt.
Der Sarg kippte. Dann schlug er auf. Es gab ein dumpfes, berstendes Geräusch, als das Holz splitterte und der Deckel aufsprang.
„O Gott!"
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