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mich der Unfall nicht, ich bin einfach wie früher.
Silvia Meyer, Corinas Mutter: Wieder und wieder lief Corinas Unfall vor meinen Augen ab. Ich machte mir Vorwürfe: Wir hätten die Fritteuse nicht aufs Tischchen stellen dürfen. Niklaus, mein Mann, fragte sich, weshalb es nicht ihm passiert sei. Das war zermürbend. Wir konnten es ja nicht ändern.
Es passierte an einem Donnerstag gegen Abend. Zum Glück behielt Niklaus einen klaren Kopf, packte Corina, duschte sie, zog ihr die Kleider aus. Ich rief Hausarzt Karl Haefele an. Er ist der einzige Arzt in Innertkirchen. Man kann ihm immer telefonieren. Es war sein freier Nachmittag, doch drei Minuten später war er da und telefonierte der Rega. «Wir fliegen nach Bern ins Inselspital.» Der Rega-Arzt wollte ins Kinderspital Zürich, schweizweit das einzige Zentrum für brandverletzte Kinder. Ich erschrak. Zürich ist für uns am anderen Ende der Welt. Er beruhigte, der Flug dauere nicht länger. Ich durfte mitfliegen und wurde via Kopfhörer bestens informiert.
Auch im Kinderspital war die Betreuung hervorragend. Um Mitternacht sagte der Arzt, Corina müsse längere Zeit im Spital bleiben; ich dürfe in ihrem Zimmer übernachten. Niklaus hatte zu Hause alles organisiert. So lebten wir denn zwei Monate im Spital, nicht zuletzt dank grosszügigen Arbeitgebern. Mein Mann bekam das Elternzimmer, ich schlief bei Corina. Daheim verwöhnten unsere Eltern die jüngere Tochter Nadine. Sie war auch oft in Zürich und kannte sich im Kinderspital bald aus wie zu Hause.
Schlief Corina, konnte auch ich schlafen, selbst wenn es rundherum laut, hektisch, hell war. Corina wollte auf keinen Fall allein bleiben. Was heisst allein? Im Mehrbettensaal lagen meist noch drei Portugiesenkinder – im Schlaf von einer Gasexplosion überrascht – mit Verbrennungen im Gesicht und an den Füssen. Das war wirklich schlimm. Der Kleinste, zweijährig, schrie unablässig. Wir haben Glück gehabt, das realisierten wir schnell.
Ständig ausgesetzt zu sein, war nicht immer einfach. Portugiesische Besucher von morgens bis abends, die fremde Sprache, das südländische Temperament. Liebenswürdige, herzensgute Leute, die auch Corina betreuten und beschenkten. Eines Abends, Corina ging es schon besser, wollten Niklaus und ich im Spitalrestaurant essen. «Geht nur», meinte sie. Kaum am Tisch, klingelte das Handy. Dem Kind war himmelangst. «Komm sofort, ich sehe nichts mehr! Das ganze Zimmer ist voller Portugiesen…!»
Corina Meyer, geboren am 9. September 1999, lebt in Innertkirchen (BE) im Haslital.
«Der Schnee war wie Beton»
David Utz, Verschütteter
David Utz, Gymnasiast, mit fünfzehn aus der Lawine gerettet
David: Der 14. Februar 2010 war ein strahlender Tag. Premiere für die ersten eigenen Tourenskier. Papa kannte die Route. Er hat mir auch das Skifahren beigebracht. Wir starteten unterhalb des Julier-Hospiz in Richtung Piz d’Emmat Dadaint, waren auf der Fuorcla Grevasalvas, mit Blick auf die Seen des Oberengadins, wollten einen Hang traversieren, als dieser zu rutschen begann. Als Nächstes realisierte ich, dass ich nicht tief im Schnee steckte, reagierte panisch, zappelte, merkte schnell, so halte ich nicht lange durch. Die linke Hand ragte aus dem Schnee, aber ich hatte keine Chance, mich zu befreien, der Schnee war wie Beton, ich hatte den Mund voll Schnee und die Skier noch an den Füssen. Keine Ahnung, wie lange ich bei Bewusstsein war, es war wie Einschlafen.
Karin Utz, Davids Mutter: Als ich ins Krankenhaus kam, meinte der Arzt, Davids linke Hand sei wohl erfroren, aber sonst gehe es ihm gut. Genau diese Hand hat ihn gerettet. Rettungsspezialist Marco Salis entdeckte das kleine Schneebrett, dachte erst, unmöglich, dass hier jemand drin ist, glaubte dann, einen dunklen Punkt zu sehen im Schneegestöber, den der Heli aufwirbelt, hiess den Piloten noch einmal und noch einmal über die Stelle fliegen, bis er es deutlich sah. Es war Davids Hand im schwarzen Handschuh. Der Arzt wühlte im Schnee. David bewegte den Kopf. Es war nach 22 Uhr.
Auf der Fahrt nach Samedan ins Spital hatte ich mit dem Schlimmsten gerechnet. Dass er schon bald die Augen aufmachte und sprach, dass der Kopf ganz klar und alles da war, was wertvoll ist an ihm, war ein Wunder. «Wo ist der Papa?» Die Wahrheit konnte ich ihm noch nicht sagen: «Er liegt im Nebenraum, man versucht, ihn aufzutauen.»
David: Als ich im Spital erwachte, wusste ich gleich, was passiert war. Ich wurde unter einer Plastikdecke
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