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1414

1414

Titel: 1414 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F Schläpfer
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Arm dagegen, versuchte mit letzter Kraft, mich an einem Rohr abzustützen und den Arm abzureissen. Ich verpasste das Rohr – nun war auch der linke Arm drin. Die Maschine mit den achtzehn Walzen lief, rieb das Gewebe ab, zerrte den Knochen aus, begann schon an meinem Schulterblatt zu raffeln. Dann kam mein Vater. Ich war zum Glück bei Bewusstsein und konnte ihn dirigieren: ‹Abstellen … anstellen … wieder abstellen!› Erst musste der Ballen raus, bevor er mich befreien konnte. Dann stieg ich mit seiner Hilfe von der Maschine und kauerte mich auf den Boden. Ich verlor kein Blut, anders als bei einem klaren Schnitt verschloss das Abreiben notdürftig die Blutgefässe. Vater alarmierte die Rega, sie hatte schon Nachtbetrieb.
    Schmerzen hatte ich keine. Der Geist war glasklar. Ich telefonierte mit Angelika, meiner Frau. Sie war schwanger. Ich erklärte, was passiert war, sie müsse sich nicht ängstigen. Auf keinen Fall wollte ich, dass sie mich sieht. Sie hat meiner Stimme nichts angemerkt.
    Ich kann nicht ohne linke Hand sein, dachte ich. Vater musste sie aus der Maschine herausholen. Der rechte Arm hing noch an ein paar Muskelfasern an der Schulter. Während wir warteten, erklärte ich Dädi, ich wolle Bauer bleiben und den Hof übernehmen, wir müssten aber Mittel und Wege finden. Der Heli kam nach zwanzig Minuten. Sie wussten nicht, wie anpacken. Ich war wie ein Stein, noch in derselben Kauerstellung. Auf der Liege verlor ich das Bewusstein.
    Die Rega-Crew erlebte ich ruhig und überlegt. Solche Einsätze ertragen wohl wenige. Irgendwann werde ich die Retter besuchen. Im zweiten Lehrjahr hatte ich jeweils die Lichttoggeli in der Wiese rund um die Einsatzbasis Erstfeld ausgemäht. Dass Cristina Monticelli vom Rega-Sozialdienst mich betreute im Zürcher Unispital, fand ich keineswegs selbstverständlich.
    Ich wurde acht Mal operiert. Während dieser Zeit haben die Eltern sich durchgerungen, das Braunvieh zu verkaufen, melken werde ich nicht mehr können. Vater, ein bekannter Züchter, hat viel bewegt in der Braunviehzucht. Ein hartnäckiger Weltverbesserer, der oft unverstanden blieb. Der 66-Jährige ist manchmal offener für Neues als ich.
    Am 30. Dezember 2002 haben wir alle 68 Tiere versteigert. Der Zulauf war gigantisch. So ein Schicksalsschlag ist ein Highlight. Böse Zungen meinten, nun falle die Hochburg Zgraggen zusammen. Tat sie nicht. Wir haben immer viel gearbeitet. Man findet immer eine Lösung. ‹Gaat nit – gitts nit› wurde mein Motto; den Dätwyler-Preis 2007 bekam ich als ‹überdurchschnittlich kreativer Krisenmanager›.
    Am 20. Februar 2003 kam Reto zur Welt, Thomas war achtzehn Monate alt. Ivan wurde 2005, Leonie 2007 geboren. Ein behinderter Mann mit vier Kindern! Man schüttelte den Kopf.
    Im Frühling nach dem Unfall kauften wir ein paar Dexter-Rinder – und waren begeistert: Sie sind klein, leicht, agil, robust. Dexter ist eine Mutterkuh mit verhältnismässig hoher Milchleistung, das heisst, die Kälber gedeihen prächtig. Die Tiere brauchen keine Zusatzfuttermittel und liefern köstliches Fleisch. Man rechnet mit durchschnittlich zwölf Zuchtjahren; eine braune Milchkuh hat 2,7. Die ersten Tiere gehen diesen Freitag auf die Alp, den Klausen. Letztes Jahr habe ich dort zwei verloren; die Rega hat sie geholt. Der Rest geht nächste Woche nach Schlans in der Surselva, etwa achtzig Kilometer von hier.
    Ich hätte mir bereits selber geholfen, meinte der Psychologe in der Rehaklinik Bellikon. Jedem Besucher im Unispital – sie kamen täglich und zahlreich – erzählte ich den Unfall – und mit jeder Wiederholung rückte er weiter weg. Am Schluss hörte ich mich wie eine Drittperson reden. Den Fehler eingestehen und verzeihen musste ich mir allerdings selber. Heute arbeite ich wieder allein auf der Rundballenpresse.
    Meine ersten Prothesen sahen aus wie normale Arme. Allein anziehen kann ich mich trotzdem nicht – und zum Spazieren brauche ich keine Prothese. Ich wollte arbeiten: eine Kiste mit Früchten aufladen, die Maschinen bedienen. Die erste Prothese war fünf Kilo schwer, hat mich mehr behindert und war dauernd in Reparatur. Ich gab auf und ass wie ein Hund aus dem Teller. Bis der Orthopäde Fleisch bei uns abholte – und sah, dass ich keine Prothese trug. Ich erklärte ihm, was ich bräuchte. Er tüftelte über ein Jahr lang; im Februar 2008 war die Prothese fertig.
    2005 schloss ich auch die Ausbildung zum Meisterlandwirt ab. Während sieben Tagen im Jahr betreue ich vier

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