1417 - Der Würgeengel
schließlich. »Kommen Sie mit in mein Büro. Ich sage Ihnen gleich, dass ich nicht viel Zeit habe.«
»Das macht nichts, wir auch nicht.«
Endlich betraten wir das große Gebäude, das einen hallenähnlichen Charakter besaß. Hier war nichts klein oder eng. Eine hohe Decke, breite Treppenaufgänge mit wuchtigen Geländern und auch zwei Aufzugtüren fielen uns auf. Es roch von einer Seite her nach Essen. Dort befand sich bestimmt die Küche.
An den hellgrauen Wänden hingen Bilder, deren Motive mir einfach zu düster waren und schon an eine Ahnengalerie erinnerten.
Wir mussten über die breiten Stufen bis hoch in die erste Etage gehen. Dort lag das Büro der Chefin, und als wir es betraten, konnten wir über die Größe nur staunen. Das hätte auch einem Wirtschaftsmagnaten zur Ehre gereicht.
Noch etwas kam hinzu. Das breite Fenster und die damit verbundene herrliche Aussicht in Richtung Süden, wo es keine Bäume mehr gab, die den Blick versperrten. In der Ferne war das Meer zu sehen, dessen Wogen wie eine graue Hügellandschaft wirkte.
Ich drehte mich von diesem Anblick weg. Nicht, ohne ihn zu loben. »Es ist ein wunderschöner Flecken Erde«, sagte ich.
»Ja, man hat eine wirklich tolle Sicht.«
»Und Sie fühlen sich hier wohl?«
»Sehr.«
»Ihre Mitbewohner auch?«
»Sie können alle fragen. Ich habe noch keine Beschwerden entgegennehmen müssen.«
»Wie schön«, sagte Suko. »Nur dass eben die Leute sterben. Manchmal sogar sehr schnell.«
Elaine Cerny hatte uns keine Plätze angeboten. Auch sie stand weiterhin mitten im Raum und fragte mit leiser Stimme, in der das Lauern nicht zu überhören war: »Was wollten Sie damit sagen?«
»Genau das, was ich andeutete. Die Menschen sterben hier. Und zwar recht häufig, denn…«
»Moment!«, sagte die Cemy mit scharfer Stimme. »So können Sie mir nicht kommen. Ich weiß, dass die Menschen sterben. Man lebt nicht ewig. Das Sterben gehört zum Kreislauf der Natur. Die Bewohner hier sind oftmals sehr alt. Und sie werden hier auch alt. Manche Menschen leben hier schon fast zwanzig Jahre.«
»Auch der letzte Tote?«
»Ja, auch Waldo Spencer. Er war zweiundneunzig. Da ist es nicht verwunderlich, dass jemand an einem Herzschlag stirbt.«
»Wie auch Louise Russo, nicht wahr?«
Die Überraschung der Frau war echt. Sie schüttelte kurz den Kopf und fragte: »Was meinen Sie denn damit?«
»Dass sie auch gestorben ist.«
»Stimmt. Ihr Herz setzte ebenfalls aus. Sie war alt genug und hatte ebenfalls ein langes Leben hinter sich.«
»Und der Herzschlag steht fest?«
»Fragen Sie den Arzt in Seaf ord. Der wird es Ihnen bestätigen. Außerdem haben Sie den toten Waldo Spencer selbst gesehen.«
»Das haben wir in der Tat.«
»Was wollen Sie dann noch?« Elaine Cerny hatte ihre Sicherheit zurückgefunden.
»Ganz einfach«, meinte Suko recht gelassen. »Wir wollen uns mit Ihnen über die Würgemale an seinem Hals unterhalten, die so gar nicht zu einem Herzschlag passen.«
Jetzt war es heraus, und wir waren gespannt, wie die Frau darauf reagieren würde.
Zunächst tat sie nichts. Sie stand auf der Stelle, presste die Lippen zusammen, blickte ins Leere, bis sie andeutungsweise den Kopf schüttelte.
»Ich weiß ja nicht, was Sie sich da in den Kopf gesetzt haben, aber das mit den Würgemalen ist doch der größte Quatsch. Wie können Sie nur einen solch verdrehten Unsinn reden, verdammt noch mal?«
»Ist es tatsächlich Unsinn?«
»Ja, Mr. Sinclair, das ist es.«
»Wir sind nicht blind.«
»Es ist mir verdammt egal, was Sie sind. Fahren Sie meinetwegen dem Leichenwagen nach. Holen Sie den Toten noch mal hervor, und dann schauen Sie sich die Würgemale an. Darum würde ich Sie gern bitten.«
»Das werden wir nicht tun.«
Sie fing an zu lachen. »Warum das denn nicht? Trauen Sie einer Überprüfung nicht?«
»Es spielt keine Rolle, was wir tun oder nicht. Wir sind davon überzeugt, dass Waldo Spencer ebenso wie Louise Russo keines normalen Todes gestorben sind.«
»Toll, wirklich. Und woran sollten sie Ihrer Meinung nach gestorben sein?«
»Raten Sie selbst«, sagte Suko.
»Ha, ha, ha…« Das Lachen klang künstlich und blechern. »Dann bleibt nur eine Möglichkeit offen. Sie wurden ermordet.«
»Richtig.«
Elaine Cerny prustete wieder los. Sie konnte tun und lassen, was sie wollte, auf uns wirkte das alles unecht.
»Verdammt noch mal, trauen Sie mir denn einen Mord zu? Das wäre die Konsequenz aus Ihren Reden.«
Ich blieb weiterhin gelassen und
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