1417 - Der Würgeengel
Graukittel bückte sich. Seine Hände hatten die Totenkiste noch nicht berührt, als wir eine scharfe Frauenstimme von der offenen Tür hörten.
»Der Sarg bleibt zu!«
Suko und ich drehten uns der Sprecherin entgegen, die mit einem langen Schritt den Bau verließ.
Die Frau trug eine helle Hose und einen rötlichen Pullover, der recht lang war. Schwarzes Haar, zurückgesteckt, zum Knoten gebunden. Ein schmales, fast schon männliches Gesicht. Dunkle und dichte Brauen und ein recht breiter Mund.
So wie die Person auftrat, lag es auf der Hand, dass sie hier etwas zu sagen hatte.
»Haben Sie gehört, der Sarg bleibt zu!«
»Sie haben laut genug gesprochen«, erklärte Suko.
»Wer sind Sie überhaupt?«
Suko sagte es ihr und zeigte seinen Ausweis.
Die Frau schnappte nach Luft. Sie plusterte sich regelrecht auf. Ihr Blick bekam einen verschlagenen Ausdruck, und sie flüsterte: »Was hat die Polizei hier zu suchen? Warum kümmern Sie sich um einen Menschen, der völlig normal in einem sehr hohen Alter gestorben ist?«
Suko nickte und lächelte. »Wenn alles so normal war, dann können Sie ja zustimmen.«
»Und warum sollte ich das?«
»Weil wir es so wollen«, erklärte ich.
Sie wandte sich mir zu. »Wer sind Sie denn?«
»Mein Name ist John Sinclair.«
Hatte es in ihren Augen gezuckt oder irrte ich mich? Nun ja, sie blieb zunächst ruhig, und es drang kein Wort aus ihrem Mund. Der Blick wanderte von einem zum anderen, sie räusperte sich, bevor sie endlich nach dem Grund fragte.
»Was interessiert Sie an der Leiche?«
»Wir möchten gern sehen, wie der Mann ums Leben kam.«
»Waldo Spencer starb an einem Herzschlag. Er hat nicht lange leiden müssen.«
»Genau das möchten wir gern selbst sehen.« Ich lächelte weiterhin und sagte: »Dabei kann ich mir vorstellen, dass Sie die Chefin der Residenz hier sind. Oder?«
»Ja, das bin ich.«
»Wie schön. Und wie heißen Sie?«
»Elaine Cerny.«
»Gut, Mrs. Cerny, dann lassen Sie uns einen Blick auf die Leiche werfen. Wenn alles okay ist, werden wir sehr schnell wieder verschwunden sein. Das verspreche ich.«
Sie schüttelte den Kopf. »Was sollte denn nicht okay sein?«
»Das wird uns der Tote zeigen.«
Mrs. Cerny wusste, dass sie an einer Öffnung des Sarges nicht mehr vorbeikam. Deshalb nickte sie den beiden Männern zu. »Okay, Sie können den Sarg öffnen.«
Die beiden Männer bückten sich. Wenig später war der Deckel verschwunden, und wir warfen einen ersten Blick auf den Toten, der alles andere als ein schönes Bild abgab.
Nur die Augen waren geschlossen. Der Mund stand weit offen, als wollte er noch einen letzten Atemzug in sich hineinsaugen. Er trug ein wadenlanges Hemd aus hellem Stoff. Unter dem Saum schauten die Waden hervor und auch die nackten Füße, die mir vorkamen wie geschnitzt und danach mit einer hellen Farbe bestrichen.
Das alles war für Suko und mich nicht interessant. Für uns zählte der Hals, und wir beugten uns entsprechend weit vor. Das heißt, Suko ließ mir den Vortritt. Er blieb so stehen, dass er die Umgebung im Auge behalten konnte.
Die helle Halshaut fiel mir sofort auf. Sie unterschied sich in nichts von der anderen. Auf den ersten Blick natürlich. Auf den zweiten sah es schon anders aus. Da schaute ich verdammt genau hin und entdeckte das, was ich eigentlich finden wollte.
Es waren die Flecken, die Abdrücke, die noch nicht völlig verschwunden waren.
Würgemale!
Ich sagte nichts und richtete mich wieder auf. Dabei gab ich Suko durch einen bestimmten Blick ein Signal, sodass er informiert war.
Danach drehte ich mich zu Elaine Cerny um, die mich gespannt und aus leicht zusammengekniffenen Augen anschaute.
»Nun?«, fragte sie. »Zufrieden?«
»Sie können den Sarg wieder schließen«, wandte ich mich an die beiden Männer.
»Können wir auch fahren?«
»Ja.«
Sie waren froh. Nicht so Elaine Cerny, die ich im Ungewissen gelassen hatte. Sie stand auf der Stelle, aber sie zitterte, so nervös war sie.
»Und? Hat sich die Mühe für Sie gelohnt?«
»Wir werden sehen.«
»Was heißt das?«
»Ganz einfach. Wir gehen jetzt mit Ihnen ins Haus, um über den Fall zu reden.«
Mrs. Cerny hatte Mühe, sich unter Kontrolle zu halten. Sie ballte die Hände, schnaufte und flüsterte dann: »Was soll das denn? Ich bin mir keiner Schuld bewusst.«
»Das glauben wir Ihnen gern. Dennoch wären einige Punkte zu klären.«
Sie schob die Unterlippe vor. Es war ihr anzusehen, dass sie nachdachte. »Gut«, sagte sie
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