1417 - Der Würgeengel
bettlägerig war und sich mit seinem Schicksal abgefunden hatte, war der Lebenswille noch vorhanden. Das Wissen, dass er nun endgültig ausgelöscht werden sollte, ließ ihn so reagieren.
Bewegen konnte er sich so gut wie nicht. Er schaffte es nur, seinen Kopf ein wenig vom Kissen in die Höhe zu heben und seinen Mund noch weiter zu öffnen.
Der Engel schwebte über ihm. Er strahlte die Kühle des nahen Todes ab. So brachte er den Gruß aus dem Jenseits mit.
Dann griff er zu!
Die Hände legten sich um den Hals des Greises, der bei dieser Berührung zusammenzuckte. Es sah so aus, als wollte er trotz seiner Schwäche in die Höhe schnellen, was er allerdings nicht schaffte, und so musste er auf dem Bett liegen bleiben.
Der Engel verwandelte sich in einen Würgeengel, und er veränderte auch sein Aussehen, denn plötzlich war er nicht mehr durchscheinend. Der Körper nahm eine feste Form an.
Von der Seite her schaute die Cerny zu. Ihre Augen glänzten. Auf den Lippen lag das Lächeln wie eingefroren. Genau das, was sie jetzt sah, machte ihr Spaß.
Die Hände des Engels waren gnadenlos. Tief drückten sie sich in die lappige Halshaut des alten Mannes, der verzweifelt um sein Leben kämpfte und es sogar schaffte, mit den Beinen zu strampeln. Die Decke wurde in die Höhe geschleudert, und die letzten Laute aus dem offenen Mund des Greises hörten sich schlimm an.
Noch einmal das allerletzte Aufbäumen, der Versuch, zu entwischen, dann war es vorbei.
Der im Bett liegende Körper sackte zusammen. Er erschlaffte. Er wurde steif.
Der Engel lag auch weiterhin über ihm und über dem Bett. Die Hände waren um die Kehle gekrallt. Das Gesicht glich einer starren Maske. Es war jetzt fest und nicht mehr durchscheinend.
Bis der Würgeengel sein Opfer losließ. Die Hände schnellten zur Seite weg, und dann schwebte der Engel wieder in die Höhe und der Decke entgegen.
Nichts an ihm war mehr stofflich. Er hatte sich wieder in das ungewöhnliche Geistwesen verwandelt, das durch den Raum schwebte und von nahezu hungrigen Blicken der Cerny verfolgt wurde.
Sie wusste genau, dass sie sehr zufrieden sein konnte. Sie hatte dem Engel einen großen Gefallen erwiesen. Unter der Decke zog er seinen Kreis und sandte wieder die Kühle ab, die der Frau gefiel.
Für sie war sie so etwas wie Balsam.
Der Engel verschwand so, wie er gekommen war. Lautlos, ohne sich um irgendwelche Türen oder Wände zu kümmern. Die Cerny schickte ihm noch ein Lächeln zum Abschied zu, bevor sie wieder nahe an das Bett des toten Greises herantrat.
Vom Aussehen her hatte sich Waldo Spencer kaum verändert. Er sah noch immer aus wie eine makabre Puppe, bei der man vergessen hatte, den Mund zu schließen.
Die Angst, die er in den allerletzten Sekunden seines Lebens durchlitten hatte, die hatte er mitgenommen in den Tod. Durch ihn war der Würgeengel wieder gestärkt worden. Er hatte seine Seele bekommen.
Elaine Cerny schloss dem Toten die Augen. Obwohl sie schon vor vielen Gestorbenen gestanden hatte, mochte sie den starren Blick nicht. Er widerte sie regelrecht an, weil sie daran denken musste, dass auch sie irgendwann so blicken würde.
Es war alles vorbereitet. Sie würde in ihr Büro gehen und in Seaf ord anrufen, um den Beerdigungsunternehmer zu verständigen, damit er den Toten abholen konnte.
Eigentlich hätte sie sehr zufrieden sein können, wäre da nicht dieses ungute Gefühl gewesen. Auf dem Weg zu ihrem Büro dachte sie darüber nach. Der Engel hatte sie darauf aufmerksam gemacht. Bisher war alles glatt gegangen, aber jemand hatte Verdacht geschöpft.
Er hatte diesen Verdacht nicht für sich behalten und sich an entsprechende Personen gewandt, um Hilfe zu holen.
Positiv sah das nicht für sie aus, aber sie sah auch ein, dass es im Leben nicht unbedingt immer glatt ging. Man musste auch mit Problemen rechnen, und die waren da, um sie aus der Welt zu schaffen.
Da fühlte sich die Cerny stark genug.
Mit diesem Gefühl betrat sie ihr Büro und griff zum Telefonhörer…
***
Von der Großstadt aus in Richtung Süden fahren und all die Enge und die hohen Häuser vergessen.
Das hatten wir getan, und da das Wetter auch mitspielte, hätten wir leicht das Gefühl haben können, in einen Kurzurlaub zu rollen, was aber nicht der Fall war.
Beide spürten wir in uns das Kribbeln, das immer darauf hindeutete, dass etwas Ungewöhnliches bevorstand. Daran änderte auch die Umgebung nichts, die mal bewaldet war, mal sich als flache Hügel mit
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