1417 - Der Würgeengel
knallgelben Rapsfeldern zeigte oder in weiten Wiesen- und Weideflächen auslief. Wir sahen Felder, die durch lange Hecken umrahmt waren, und die kleinen Orte sahen oft so aus, als wären sie in die frühsommerliche Gegend hineingemalt worden.
Der nächste größere Ort war nun Seaford. Dort hinein mussten wir nicht fahren. Die Residenz am Meer lag ein wenig abseits davon, allerdings in Sichtweite des Ortes. Nur der Rummel berührte sie nicht, denn es gab an dieser Stelle keinen Strand, an dem sich die Menschen austoben konnten. Dafür eine steile Klippenlandschaft, die fast senkrecht zum Meer hinabfiel.
Wir mussten nicht lange herumsuchen, denn es gab ein nicht zu übersehendes Hinweisschild, das zu dieser Residenz führte.
»Dann mal los«, sagte ich und streckte mich. Suko fuhr, und ich hatte unterwegs Zeit zum Ausspannen und sogar zum Schlafen gehabt.
Auch den weiteren Weg konnten wir nicht verfehlen. Die Straße war gut zu befahren und zerschnitt als graues Band die grüne Landschaft bis zur Küste hin.
Flach war alles in diesem Bereich. Die Hügel und der Wald lagen hinter uns. Hier spürten wir bereits den Meerwind, der mit dem Gras und den Büschen spielte.
Wir sahen allerdings auch die mächtigen Bäume, die recht dicht zusammenstanden und so etwas wie eine Insel bildeten. Wir fuhren an sie heran und stellten fest, dass sich die Dichte aufhob, weil es doch größere Zwischenräume gab.
Die Residenz am Meer war der Mittelpunkt. Um sie herum breitete sich die von Menschenhand geschaffene parkähnliche Landschaft aus. Sehr schnell stellten wir fest, dass die Bäume zu einem großen Garten gehörten. Da wirkte der Rasen sehr gepflegt. Man hatte auf einem Teilstück die bunten Streublumen wachsen lassen und auch Bänke aufgestellt, die von den Bewohnern benutzt wurden, denn das Wetter war warm genug.
Wir folgten dem Verlauf der Straße und hörten das Knirschen unter den Reifen.
Die Blicke der Insassen verfolgten unsere Fahrt. Auf den Bänken wurde getuschelt. Die alten Menschen steckten dabei die Köpfe zusammen. Wir waren ihnen fremd.
Bisher war alles normal und friedlich gewesen. Das änderte sich, als wir freie Sicht bekamen und kein Baumstamm mehr störte. Vor uns lag das Haus aus rötlichem Sandstein in seiner vollen Breite, doch das war es nicht, was unsere Aufmerksamkeit voll in Anspruch nahm. Es ging um das Fahrzeug, das in der Nähe stand und nur wenige Schritte vor dem Eingang angehalten worden war.
Ein Leichenwagen!
»Sieh an«, murmelte Suko und warf mir einen schnellen Blick zu.
»Ich denke, hier sind wir richtig.« Er lachte. »Da hat die Idylle doch einen breiten Riss bekommen.«
»In einem Heim wie diesem geht der Tod eben ein und aus«, sagte ich mit leiser Stimme.
Wir hielten nicht weit von dem Leichenwagen an. Von Pietät schien man hier nicht viel zu halten, sonst wäre der Leichenwagen sicherlich an der Rückseite abgestellt worden. Hier konnte nun jeder sehen, der am Fenster stand oder draußen auf einer der Bänke saß, wer hier aus dem Haus getragen wurde.
Die breite Eingangstür stand weit offen. Wir gingen davon aus, dass die Leiche noch geholt wurde.
Beim Aussteigen fragte Suko: »Gehen wir hinein oder warten wir draußen?«
»Mal sehen, wann sie die Leiche bringen.«
»Okay.«
Wir waren noch auf dem Weg zur Tür, als wir die Bewegung dort wahrnahmen. Im nächsten Augenblick erschienen die beiden Männer, die einen primitiven Sarg aus Kunststoff trugen.
Die hintere Ladefläche stand offen. Man brauchte den Sarg nur hineinzuschieben.
Das passierte vorerst nicht, denn wir legten unser Veto ein.
Die beiden Männer in den mausgrauen Kitteln waren so überrascht, dass sie den Sarg abstellten. Einer wischte sich den Schweiß von der Stirn und fragte: »Was soll das?«
Ich lächelte knapp, bevor ich sagte: »Wir hätten uns die Leiche gern noch mal angeschaut.«
»Ach. Sind Sie ein Verwandter?«
»Nein.«
»Dann sind Sie nicht berechtigt, den…«
»Doch, das sind wir.«
»Und wieso?«
Ich holte meinen Ausweis hervor, während Suko nichts tat und nur durch die offene Tür schaute.
Der Leichenträger schluckte. »Scotland Yard? Was soll das denn? Warum kümmern Sie sich um den toten Greis? Den hat niemand gekillt. Der Mann war über neunzig.«
»Wir hätten den Toten trotzdem gern gesehen.«
Der Angestellte vom Beerdigungsinstitut hob die Schultern.
»Okay, wenn es Ihnen Spaß macht, ich habe nichts dagegen.«
»Spaß macht es nicht. Es muss nur sein.«
Der
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