1417 - Der Würgeengel
Frage musste ich mich räuspern. »Und wer, bitte schön, soll das sein?«
»Der Würgeengel.«
Jetzt hatte ich die Antwort. Ich schaute ihn von der Seite her an und schüttelte den Kopf. Das konnte nicht wahr sein. Da hatte ich mich bestimmt verhört, und ich wiederholte den Begriff.
»Der Würgeengel?«
»Sie haben sich nicht verhört.«
Ich hatte ja mit einigem gerechnet, damit allerdings nicht. Natürlich kannte ich Engel, ich wusste sehr gut, dass es sie gab, aber von einem Würgeengel hatte ich noch nie gehört und fragte deshalb:
»Dieser Engel erscheint, wenn die Menschen ihn in ihrer Not rufen, und er tut ihnen dann den Gefallen, sie zu erwürgen. Sehe ich das richtig?«
»Ja.«
»Dann wurde Ihre Mutter erwürgt?«
»Genau!«
»Das wissen Sie?«
»Klar.«
»Und woher?«
Jetzt lächelte er. »Nicht nur aus den theoretischen Gesprächen mit meiner Mutter. Ich habe es auch in der Praxis gesehen, weil ich Minuten nach ihrem Tod bei ihr gewesen bin. Das Krankenhaus rief mich an. Ich kam leider um einige Minuten zu spät. Aber ich habe noch das gesehen, was man Spuren nennt. Es waren die Würgemale an ihrem Hals, und da irre ich mich nicht.«
»Schon klar, Mr. Russo. Aber warum haben Sie die Male gesehen und die Ärzte nicht?«
»Weil sie sehr schnell wieder verschwanden. Ich habe dabei zuschauen können. Aber sie waren vorhanden, mehr kann ich Ihnen nicht sagen. Ich schwöre, dass ich mich nicht geirrt habe.«
»Was ist mit diesem Würgeengel?«
Er hob die Schultern.
»Sie haben ihn also nicht gesehen?«
»Nein.«
»Aber Sie glauben an ihn?«
»Bestimmt, Mr. Sinclair. Meine Mutter hat während ihrer Zeit im Heim einfach zu oft über ihn gesprochen. Sie hat den Kontakt zu ihm schon vor ihrem Tod aufgenommen.«
»Wie denn?«
»Das hat sie mir nie gesagt, obwohl ich sie mehrmals danach fragte. Meine Mutter war sehr gläubig, aber auch sehr wundergläubig. Sie glaubte noch an Dinge, über die andere lächeln. In ihrem Zimmer standen auch zahlreiche Heiligenbilder oder Fotos der Frauen, die in der Neuzeit etwas Wundersames erfahren hatten. Stigmatisierungen wie die berühmte Therese von Konnersreuth. Das alles kam bei ihr zusammen, und sie hat, das sagte sie mir sehr deutlich, auch Kontakt zu den Engeln aufgenommen – oder eben zu diesem einen.«
»Ja«, sagte ich und nickte dazu. »Das ist schon eine recht ungewöhnliche Konstellation.«
»Genau.« Luke Russo trank seine Tasse leer. »Und jetzt kommt es mir darauf an, dass Sie mir glauben.«
Natürlich erwartete er eine Antwort, aber damit ließ ich mir schon noch Zeit. Was ich hier gehört hatte, klang in der Tat unwahrscheinlich. Trotzdem musste ich darüber nachdenken und konnte es nicht so einfach zur Seite drücken. Ich sah einfach keinen Grund, weshalb der Mann mich hätte anlügen sollen. Wie ein Schauspieler kam er mir nicht vor. Ihn drückten schon die Sorgen.
»Ich weiß, dass ich viel von Ihnen verlange, Mr. Sinclair. Aber wenn Sie etwas Zeit aufbringen könnten, würde ich Sie bitten, dass Sie sich um den Fall kümmern. Es geht mir nicht nur um meine Mutter. Wer weiß, wie viele alte Menschen durch diesen Engel ermordet oder angeblich erlöst wurden.«
»Oder durch einen Menschen.«
»Glauben Sie das?«
Ich winkte ab. »Das möchte ich mal dahingestellt sein lassen. Aber ich denke, dass Sie selbst genug über gewisse Vorgänge in Altenheimen gelesen und gehört haben. Da sind Morde passiert, deklariert als Sterbehilfe.«
»Wenn meine Mutter Louise ermordet worden ist, dann war es der perfekte Mord.«
»Ja, das könnte man so sehen, obwohl ich mir auch einen Menschen dahinter vorstellen kann.«
»Ich weiß es nicht.«
»Aber Sie kennen das Heim?«
»Klar.«
»Darf ich Sie nach Ihrem Eindruck fragen?«
»Es liegt wunderbar. Direkt an der Südküste, wenn auch etwas einsam, aber die Gegend macht vieles wett. Die Menschen können aufs Meer schauen. Sie haben einen Garten, in dem sie sich bei schönem Wetter aufhalten, und wer als Besucher dort hinkommt, der ist recht angetan.«
»Okay«, sagte ich, »das hört sich ja alles recht gut an. Und wie sieht es mit dem Personal aus?«
»Perfekt, Mr. Sinclair. Ich habe die Mitarbeiter als sehr freundlich erlebt. Die Menschen gingen in ihrer Aufgabe auf. Da gibt es keinerlei Kritik.«
»Und wer leitet das Heim?«
»Bitte, sagen Sie nicht Heim. Es ist eine Residenz. Die Chefin heißt Elaine Cerny.«
»Und? Welchen Eindruck haben Sie von ihr?«
»Einen unbedingt positiven. Sie
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