1418 - Grabgesang der Geistermönche
man so sagen.«
»Hatte er denn für einen Engel ein besonderes Faible?«
Mandy Curtis schaute sich in ihrem kleinen Zimmer mit den schlichten Möbeln um, als sähe sie es zum ersten Mal. Sie gab die Antwort nicht, das tat ihre Tochter.
»Doch, Mr. Sinclair. Michael.«
»Du meinst den Erzengel?«
»Ja, das ist sein Namenspatron.«
Ich lächelte Julie an. »Toll hast du das gemacht.«
»Er hat oft von ihm gesprochen. Er hat auch gesagt, dass er sein Freund ist.«
Da sie nicht weitersprach, wollte ich wissen, ob er noch mehr gesagt hatte.
Julie musste erst überlegen. Dabei trank sie von ihrem Saft, den die Mutter ihr gegeben hatte.
»Weiß nicht…« Sie fing wieder an zu weinen, weil sie bestimmt die Erinnerungen an das Geschehen im Wohnwagen überfallartig erwischt hatten. Ich wollte sie nicht mit Fragen quälen und nickte Mandy Curtis zu.
»Sollte Ihre Tochter eine Betreuung brauchen, wenden Sie sich bitte an Scotland Yard. Wir haben dort die Möglichkeiten, etwas in dieser Richtung zu unternehmen.«
»Danke. Ich will nur die Nacht noch abwarten. Vielleicht schläft sie ja ein.«
»Ja, aber Sie müssen bei Ihr bleiben.«
»Das werde ich auch.«
Ich verabschiedete mich von den beiden und hoffte, dass Julie den Schrecken würde verkraften können. Ich hätte ihr gern weiteren Trost gespendet, aber ich musste meinem Job nachgehen. Hinzu kam etwas anderes. Ich besaß mein Kreuz nicht mehr. Ich war es auf eine verdammt lächerliche Art und Weise losgeworden, und obwohl ich den Druck nie gespürt hatte, wenn es vor meiner Brust hing, so vermisste ich ihn jetzt. Vielleicht war es auch nur Einbildung.
Jedenfalls war die Nacht noch nicht beendet. Es lag noch eine Durchsuchung vor mir. Vielleicht ließ sich eine Spur in der Wohnung dieses Michael finden…
***
Die von mir alarmierten Kollegen hatten gut reagiert und die Gegend, in der Michael wohnen sollte, unter Kontrolle gehalten. Gleich mehrere Streifenwagen patrouillierten, doch gesehen worden war dieser Michael nicht.
Ich sagte nicht, dass der Einsatz abgebrochen werden sollte. Zunächst musste ich mir die Wohnung anschauen, die tatsächlich in einem Anbau im Hinterhof lag.
Hier war es so dunkel, dass ich meine Lampe zu Hilfe nehmen musste, als ich vor einer Tür stehen blieb. Es lebten einige Menschen in dem Anbau, dessen Dach mit einem Gitter gesichert war.
Ich konnte die Haustür aufdrücken. Ein Geruch stieg mir in die Nase, den ich nicht identifizieren konnte. Es stank wirklich alles durcheinander, aber ich stellte sehr schnell fest, dass hier Gras geraucht worden war.
Ein trübes Flurlicht gab es auch, und in seinem Schein sah ich die alte Holztreppe, auf der eine junge Frau mit langen Zöpfen hockte und mich mit einem Blick anschaute, der ins Leere ging.
Ich blieb vor ihr stehen. Sie zupfte an ihrer Bluse herum, die ihr bis zur Hüfte reichte. Auf den nackten Armen schimmerten einige Tätowierungen.
»Warten Sie auf wen?«, fragte ich.
»Geht es dich was an?«
»Kann sein. Ich will zu Michael.«
Warum sie lachte, verstand ich nicht. Dann sagte sie: »Ja, zu dem wollte ich auch.«
»Und?«
Sie hob die Schultern. »Er ist nicht da.«
»Das wissen Sie?«
»Klar, ich war in seiner Bude.«
»He«, tat ich überrascht. »Einfach so?«
»Nein«, dehnte sie. »Nicht einfach so. Du kannst wirklich nerven. Ich habe einen Schlüssel.«
»Dann können wir ja gemeinsam hingehen.«
»Ach, was willst du denn von ihm?«
»Mich dort umschauen.« Ich zeigte ihr meinen Ausweis. »Ist Ihnen jetzt klar, warum ich…«
»Schon gut, Mr. Sinclair. Ich heiße übrigens Claire.«
»Und sonst?«
Sie stand seufzend auf und griff nach einer schwarzen Jeansjacke, die neben ihr auf der Stufe gelegen hatte. »Sonst bin ich in der Drogenberatung tätig, aber zumeist ein weiblicher Streetfighter.«
»Gratuliere. Und Michael nahm Drogen?«
»Nein, das tat er nicht. Ich wollte ihn dafür gewinnen, mitzumachen. Deshalb war ich mit ihm verabredet. Aber jetzt sind Sie hier. Ich habe draußen auch die Streifenwagen gesehen. Hat ihr Erscheinen auch mit Michael zu tun?«
»Indirekt.«
Claire hielt mich am Ärmel fest. »Verdammt, in was ist er hineingeraten?«
»Das weiß ich nicht. Ich möchte mich in seiner Wohnung umsehen.«
»Können Sie. Aber Sie werden nichts finden. Michael war clean. Da kenne ich mich aus. Er war zwar ein Spinner, was seine Verehrung für den Erzengel Michael anging, aber sonst konnte man mit ihm gut auskommen. Jeder hat nun mal sein
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