1422 - Mörderischer Muttertag
ein Geschäft betrieb und finanziell nicht eben gesegnet war, der musste zusehen, dass er auf einer kleinen Ladenfläche so viel wie möglich anbot, ohne dass sein Geschäft voll gestellt wirkte und die Kunden mehr abschreckte als anzog.
Diesen Spagat hatte Tina Baker gut geschafft. In pyramidenartigen Aufbauten aus Kunststoff, der wie Glas wirkte, hatte sie sich Stufen geschaffen, auf denen ihre Ware stand. Aus Platzmangel hatte sie sich nur für Schnittblumen entschieden, und da waren die Rosen ihre besondere Leidenschaft.
Durch den richtigen Riecher hatte sie den Trend der Zeit erkannt.
Die Menschen liebten die Rosen, denn zahlreiche Züchtungen hatten prächtige Exemplare entstehen lassen, die in allen möglichen Farben schimmerten. Von einem tiefen Rot über Zwischentöne hinweg bis zu einem gedeckten Weiß war alles vorhanden.
Dass sie zudem noch andere Blumen verkaufte, fiel bei der Menge an Rosen kaum auf, aber daran verdiente sie am meisten.
Der Laden war zwar klein, hatte aber einen großen Vorteil. Er lag erstens am Ein- oder Ausgang einer Einkaufspassage, die immer frequentiert war, und zum Zweiten bestand eine Seite nur aus einem großen Schaufenster. Wer in die Passage ging und außen vor der Scheibe stehen blieb, dessen Blick fiel automatisch auf die beiden Pyramidenbauten mit den prächtigen Rosen, und dieses Bild machte manchen Betrachter so an, dass er den Laden betrat und Blumen kaufte.
So konnte Tina Baker auf Laufkundschaft setzen, was ihr sehr entgegenkam.
Wer eintrat, befand sich in einem schmalen, etwas lang gezogenen Geschäft wieder. Der Verkaufsraum endete dort, wo die Kasse stand, dahinter gab es noch genügend Platz für den Abfall, der immer anfiel, weil die meisten Kunden ihre Blumen zurechtgeschnitten haben wollten.
Tina ging auf jeden Kundenwunsch ein. Der Job machte ihr Spaß, auch wenn er manchmal recht anstrengend war wie in den letzten Stunden dieses Morgens. Da hatten sich nicht nur die Kunden in ihrem Laden gedrängt, da war auch Nachschub gekommen, der ausgepackt werden musste. Die Rosen, die sie von einem speziellen Züchter erhielt, mussten ins Wasser. Zu viel Schwund durfte nicht entstehen.
Hinzu kam, dass ihre Hilfe, eine junge Polin, leider an Grippe erkrankt war und noch einige Tage ausfallen würde. Diese Zeitspanne musste sie allein überbrücken.
Aus diesem Grund war Tina Baker besonders froh, das Schild mit der Aufschrift CLOSED an die Tür hängen zu können und mal eine Stunde richtig Ruhe zu haben.
Sie öffnete die Tür hinter der Kasse, die zu den hinteren Räumen führte. Zwei winzige Kammern waren es nur. Die eine konnte man als Büro bezeichnen. Vom Platz her reichte es gerade mal für eine Person.
Der andere Raum beinhaltete eine Nasszelle. Eine Toilette und ein Waschbecken gehörten dazu. Über dem Waschbecken hing ein Spiegel, der den Raum größer erscheinen ließ.
Bevor Tina den Waschraum betrat, um sich die Hände zu reinigen, zog sie ihren grünen Kittel aus. Sie hängte ihn an einen Haken und massierte ihre Augen, bevor sie die Tür zum Waschraum öffnete.
So sehr sie die Selbstständigkeit liebte, manchmal wünschte sie sich mehr Freizeit und auch einen Partner, mit dem sie diese Stunden teilen konnte. Bisher hatte sie noch niemanden gefunden. Alle Versuche in dieser Hinsicht waren gescheitert, was einfach an der fehlenden Zeit lag. Sie lebte praktisch für ihr Geschäft.
Wenn sie an ihre Vergangenheit dachte, dann glich es schon einem kleinen Wunder, dass sie den Laden so hatte aufbauen können, und den wollte sie auch nicht verlieren, denn trotz der recht hohen Miete schrieb sie schwarze Zahlen. Der Gewinn war zwar nicht üppig, aber es ließ sich schon gut von ihm leben.
In Jeans und T-Shirt gekleidet, betrat sie den kleinen Waschraum.
Die Toilette lag der Tür direkt gegenüber, das Wachbecken mit dem Spiegel befand sich an der linken Seite.
Dorthin ging sie und drehte sich ihm zu. Es war eine Bewegung, die sie tagtäglich vollzog und die ihr in Fleisch und Blut übergegangen war. Sie sah daran nichts besonderes, und den Spiegel nahm sie eigentlich kaum wahr.
Auch an diesem Mittag hätte es so sein müssen, und doch kam alles anders.
Sie wollte sich dem Waschbecken entgegenbeugen. Zuvor hob sie den Kopf an, um einen Blick in den Spiegel zu werfen, als sie mitten in der Bewegung erstarrte.
Jemand hatte die Spiegelfläche mit einem roten Lippenstift beschmiert und drei Wörter zu einem Satz zusammengefügt.
BALD IST
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