1422 - Mörderischer Muttertag
besuchen, und was da geschah, darüber redete man besser nicht.
Auch Tina, die zu den hübschen Mädchen gehörte, hatte diese Stunden erlebt, sie überlebt.
Am schlimmsten war für sie gewesen, den Kontakt zu ihren Brüdern nicht mehr zu haben. Elton und Sam befanden sich in einem Heim für Jungen, und Tina konnte sich vorstellen, dass sie Ähnliches zu durchleiden hatten wie sie.
Natürlich wusste man, weshalb sie die Jahre im Heim verbringen musste. Direkt angesprochen worden war sie darauf niemals, aber es gab genug versteckte Bemerkungen, die darauf hindeuteten, dass man sehr gut Bescheid wusste.
Natürlich hatte auch Tina die schreckliche Nacht nicht vergessen, obwohl sie da erst acht Jahre alt gewesen war. So etwas prägte für das gesamte Leben.
Doch sie hatte sich nicht unterkriegen lassen. Nach einigen Jahren war es ihr gelungen, den Kontakt zu ihren Brüdern zu finden, und nach der Entlassung aus dem Heim, da hatte sie nur jubeln können.
Elton und Sam waren bereits entlassen worden, hatten einen Beruf erlernt und kümmerten sich um ihre Schwester.
In der Schule hatte Tina zu den Besten gehört. Das war für sie wichtig gewesen, denn sie hatte immer an die Zeit nach dem Heim gedacht. Da ging das Leben nicht nur weiter, da würde es für sie beginnen. Die Ausbildung zur Floristin hatte sie mit Bravour bestanden, und Elton, der den Beruf des Maklers ergriffen hatte, war sogar in der Lage gewesen, ihr den kleinen Laden zu besorgen.
Das normale Leben hatte für Tina begonnen. Die schrecklichen Kindheitserlebnisse rückten in den Hintergrund, ohne ganz vergessen zu sein, denn in den Träumen kehrten sie immer wieder zurück.
Da standen die Szenen vor ihrem geistigen Auge wie eingebrannt.
Sehr oft schreckte sie aus ihren Träumen hoch und sah wieder die schreckliche Gartenszene vor sich.
Das Feuer, das ihre Mutter umtanzte und sie schließlich verbrannt hatte, wobei sie nach dem Teufel geschrien hatte.
Warum der Teufel?
Tina wusste es auch heute noch nicht. Sie hatte sich niemals Gedanken über ihn gemacht. Für sie war er zu abstrakt, obwohl er in manch einer Redensart immer präsent war.
Was hatte ihre Mutter mit ihm zu tun? Warum hatten die Kinder und vor allen Dingen der Ehemann nichts bemerkt? Dass ihr Vater auf so grausame Art und Weise ums Leben gekommen war, hatten sie und ihre Brüder erst später erfahren. Trotzdem war es ein Schock für sie gewesen, und so fühlten sich die drei Geschwister mit einem Makel behaftet.
Allmählich traten die Erinnerungen in den Hintergrund. Tina dachte wieder an die Botschaft im Spiegel. Bald ist Muttertag, hatte sie dort gelesen. Und jetzt stellte sie sich die Frage, ob ihre tote Mutter tatsächlich etwas mit dieser Botschaft zu tun hatte.
Eine Tote?
Vorstellbar war das nicht, aber auch das Ableben der Mutter konnte nicht als normal bezeichnet werden. Da trafen schon zwei Dinge zusammen, die nicht zu erklären waren.
Was tun?
Ignorieren? Über die Botschaft lachen? Das konnte sie nicht. Sie würde ihr nicht aus dem Kopf gehen. Damit zu leben war ihr nicht möglich. Allein würde sie nicht zurechtkommen, und deshalb drehten sich ihre Gedanken um Hilfe.
Wer konnte ihr da zur Seite stehen?
Es kamen nur zwei Personen in Betracht. Das waren ihre Brüder Elton und Sam. Jetzt war sie froh, dass der Kontakt zwischen den Geschwistern nie abgebrochen war. Jeder konnte sich auf jeden verlassen, wenn Not am Mann war.
Elton ging es finanziell am besten. Er war selbstständiger Makler und hatte sich eine gute Existenz geschaffen. Sammy arbeitete als freischaffender Künstler. Er bezeichnete sich als Bildhauer und lebte zusammen mit anderen Kollegen in einer Künstlerkolonie, die von privaten Sponsoren unterstützt wurde.
Beide wollte Tina so schnell wie möglich sprechen. Unter Umständen hatten auch sie eine gleiche oder ähnliche Botschaft empfangen.
Wenn nicht, dann würden sie ihr trotzdem zur Seite stehen. So war es bisher immer gewesen. Wenn es hart auf hart kam, dann hielten sie zusammen.
Das Telefon stand auf dem kleinen Schreibtisch. Auf die Uhr schauen wollte sie nicht. Auch wenn die Mittagspause überschritten war, das spielte jetzt keine Rolle. Im Moment gab es wichtigere Dinge als das Geschäft.
Die Hand, die sich auf dem Weg zum Telefon befand, zuckte zurück, als sich der Apparat meldete. Auf dem schmalen Display hätte sie die Nummer des Anrufers erkennen können, doch sie gönnte ihm nicht einen Blick. Fest drückte sie den Hörer gegen ihr
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