1429 - Totenkopf-Ballade
brauchen sich wirklich keine großen Sorgen zu machen, Jana. Es wird schon alles gut gehen.«
»Meinen Sie?«
»Bestimmt…«
***
Dagmar Hansen wurde ebenfalls bleich, als sie erfuhr, was wir wussten. Sie und Harry hatten oft genug mit Verbrechern zu tun, aber eine Kindesmörderin zu erleben, das war verdammt hart. Dafür hatte sie nicht die Spur von Verständnis.
Es war gut, dass wir Jana als Führerin bei uns hatten. So brauchten wir den Weg zum Friedhof nicht zu suchen.
Es gab nicht nur einen in Marienbad. Man hatte Malinka nicht auf dem größten begraben, der ebenfalls ein einziges Denkmal war, wie uns Jana versicherte. Es gab noch einen zweiten, einen kleineren.
Der lag etwas versteckt. Auf ihm befanden sich die Gräber derjenigen, die man nicht besonders gemocht hatte. Keine Einheimischen, sondern Fremde, die hier gestorben waren, aus welchen Gründen auch immer.
Russische Soldaten lagen dort ebenfalls bestattet, auch Deutsche, wie wir erfuhren, denn es hatte dieses Areal bereits zur Zeit des Zweiten Weltkriegs gegeben.
Zurück in die Stadt mussten wir nicht. Etwa auf halber Höhe des Berghangs erreichten wir einen Weg, der uns ans Ziel führte. Auch er war verschwiegen und wenig befahren. Über uns schwebte ein Dach aus Laub. Unkraut wucherte kniehoch auf dem Weg, und nichts davon sah platt gefahren aus.
Wir unterhielten uns nicht. Jana saß neben mir auf dem Rücksitz.
Sie transpirierte trotz der Klimaanlage, die das Innere des Opels inzwischen gut gekühlt hatte.
Aber sie beschäftigte sich mit etwas, das sah ich ihr an. Ich wollte den Grund erfahren, und deshalb sprach ich sie an. »Was bedrückt Sie so stark, Jana?«
»Ein schlimmer Gedanke«, flüsterte sie. »Ich wage kaum, ihn auszusprechen.«
»Tun Sie es trotzdem. Sie müssen einfach Vertrauen zu mir haben. Gemeinsam sind die Probleme besser zu lösen.«
»Schon, aber…«
»Bitte.«
Sie schluckte und nickte. »Okay, Herr Sinclair, ich will Ihnen meinen Gedanken sagen. Ist es möglich, dass Menschen, die schon tot sind, einfach zurückkehren?«
Mit einer ähnlichen Frage hatte ich gerechnet. Ich hätte ihr eine knappe Antwort geben können. Das genau wollte ich nicht und hob zunächst mal die Schultern.
»Es gibt Grenzfälle, Jana.«
Sie schloss für einen Moment die Augen. »Also doch.«
»Wenn Sie wollen – ja.«
»Aus den Gräbern?«
»Manchmal.«
Sie nahm den Kopf zurück, und ich sah, dass sie bleich geworden war.
»So etwas hat man in alten Märchen und Sagen gelesen, die es auch bei uns gab und noch immer gibt. Ich habe mir das nie vorstellen können, doch jetzt sehe ich es anders.«
»Noch haben wir keinen Beweis.«
Sie lachte leise. »Sorry, aber für mich persönlich ist diese Malinka bereits zurückgekehrt und hat gemordet.«
»Da muss ich zustimmen.«
»Kinder hat sie getötet – Kinder!« Jana ballte die Hände. »Wer tötet denn Kinder?«
»Das ist leider schon zu allen Zeiten passiert«, erklärte ich ihr.
»Oftmals waren die Schwachen die Opfer, und leider ist das bis heute so geblieben.«
Sie stimmte mir zu. »Ja, man hört und liest immer wieder davon. Trotzdem kann ich es nicht begreifen.«
»Ich auch nicht, wenn Sie das beruhigt. Das wird wohl kein normal denkender Mensch jemals fassen können.«
»Danke, das habe ich gebraucht.« Für einen Moment legte sie ihre Hand auf die meine.
Der Weg wurde schmaler. Wir fuhren sowieso nur Schritttempo, und Harry, der lenkte, drehte den Kopf.
»Wie lange noch?«
»Es kann nicht mehr weit sein. Tut mir Leid, es ist Jahre her, dass ich dem Friedhof einen Besuch abgestattet habe. Es kümmert sich auch niemand um das Gelände.«
»Dann werden heute keine Menschen mehr hier begraben?«, erkundigte sich Dagmar.
Jana schüttelte den Kopf. »Der Friedhof hier ist ein Stück Vergangenheit, an die man nicht mehr gern erinnert werden will. Man schaut nach vorn, nach Westen. Für die meisten Menschen hat die Zeit, in der der große Bruder über den Osten herrschte, viel zu lange gedauert.«
Das konnten wir verstehen.
Nicht mehr lange mussten wir durch diesen halbdunklen und grünlich schimmernden Tunnel rollen. Die enge Wegstrecke war bald vorbei, und dann öffnete sich ein Feld vor uns.
Ein Friedhof. Ein sehr alter Friedhof. Man roch ihn, als wir den Omega verließen. Es hatte sich hier Feuchtigkeit sammeln können, trotz der wärmenden Sonnenstrahlen. Aber sie war noch nicht so intensiv, als dass Nebel über dem Gelände gelegen hätte.
Alte Bäume reckten
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