1429 - Totenkopf-Ballade
ein großer Verehrer gewesen. Vier Bücher holte ich hervor. Sie alle hatten nicht auf dem Holzboden der Lade gelegen, sondern auf einem grauen Schnellhefter, den ich mit spitzen Fingern hervorzog.
Harry kehrte zurück. »Hast du was gefunden?«
»Das weiß ich noch nicht. Du denn?«
»Nein, ich landete in einem Anbau. Toilette und Waschraum. Alles ein wenig vorsintflutlich.«
»Kein Wunder. Hier hat die alte Zeit noch Bestand.« Ich tippte auf den Schnellhefter. »Mal schauen, was sich hier findet.«
»Rechnest du mit einem Erfolg?«
Ich schaltete zunächst mal die Lampe mit dem nach unten gebogenen Tulpenschirm ein. Das gelbe Licht streute genau auf den Hefter, den ich aufschlug. Ich fand ein Blatt mit handschriftlichen Notizen in tschechischer Sprache. Mit ihm konnten weder Harry noch ich etwas anfangen. Zwei Seiten waren beschrieben worden, und als ich umgeblättert hatte, da schauten Harry und ich auf die schon leicht vergilbten Fotos, die auf ein Blatt Papier geklebt worden waren.
»Das sind Gräber«, flüsterte Harry.
»Genau.«
Er beugte sich weiter vor. »Neu sind die Aufnahmen nicht eben. Aber die Gräber scheinen wichtig zu sein.«
»Du irrst dich, Harry. Es ist nur ein Grab. Und das wurde aus verschiedenen Perspektiven aufgenommen. Schau genau hin, dann wirst du es erkennen.«
Er ließ sich eine halbe Minute Zeit, um mir zuzustimmen. Das Grab stand allein. Es war umwuchert, und sein Stein bestand auch nicht aus einem Kreuz. Es war ein bearbeiteter Felsklumpen, den man auf die Erde gestellt hatte.
»Gibt es da auch einen Namen?«
Mit dieser Frage hatte ich gerechnet. Ich selbst hatte mich das auch gefragt. Um besser sehen zu können, beugte ich mich noch ein wenig vor, und tatsächlich gab es auf dem Stein eine Gravur.
»Wir brauchen eine Lupe, John.«
Das stimmte. Ich ging davon aus, dass der Pfarrer beim Betrachten der Bilder sicherlich auch eine Lupe zu Hilfe genommen hatte.
Wenn das so war, dann musste sie in der Nähe sein. Die kleinen Schubladen des Aufbaus stachen mir ins Auge.
Ich schaute nach.
Bei der dritten Lade hatte ich Glück. Ich fand eine Lupe.
»Wer sagt es denn.«
Ich blies die Staubkörner vom Glas weg. Dann hielt ich es vor meine Augen. So beugte ich mich über die Fotos, um die Einzelheiten zu betrachten.
Ob das Grab nun verwildert war oder nicht, war für mich nicht von Bedeutung. Mich interessierte die Gravur im Stein. Das Glas half mir dabei, sie zu entziffern.
»Kannst du was lesen, John?«
»Ja.«
»Und?«
Ich machte es spannend. »Warte noch einen Moment. Ich will ganz sicher sein.«
Und das war ich auch, als ich den Namen Malinka mit leiser Stimme vorlas.
»Ha, super. Das hatte ich mir gedacht. Welches Grab hätte der Pfarrer sonst auch fotografieren sollen? Da haben wir schon einen Teil der Verbindung.«
Ich ließ meinen Freund Harry reden und blickte weiterhin durch die Lupe. Etwas störte mich an diesem Grabstein. Es war wirklich nur der schlichte Name zu lesen. Kein Geburtsdatum, kein Sterbedatum, einfach nur Malinka.
»Es ist nur der Name in den Stein gemeißelt worden«, bemerkte ich.
»Und was bedeutet das?«
»Es ist ungewöhnlich. Normalerweise meißelt man viel mehr in einen Grabstein.«
»Das ist wohl wahr.«
»Warum hier nur dieser Name?«
»Keine Ahnung, John.«
Ich lehnte mich zurück. »Das muss eine Bedeutung haben.« Mit dem rechten Zeigefinger deutete ich auf die Fotos. »Wenn du dir die Umgebung des Grabs anschaust, wirst du erkennen, dass es praktisch allein steht. Es gibt keine anderen Gräber in der Umgebung. Und das macht mich auch nachdenklich.«
»Man hat es also abseits gestellt.«
»Genau, Harry. Man wollte nicht, dass Malinkas Grab in der Nähe der anderen stand. Man schämte sich offenbar dafür.«
»So ist es.«
»Und warum?«
Harrys Schultern zuckten. »Ich habe keine Ahnung und kann nur spekulieren.«
»Ich ebenfalls. Aber ich kann dir sagen, was passiert ist, Harry. Man hat diese Malinka an einer Stelle begraben, weil sie sich als lebender Mensch nicht so verhalten hat, wie es den allgemeinen Regeln entsprach. Mit anderen Worten: Sie muss eine schwere Schuld auf sich geladen haben.«
»Das könnte es sein.« Harry schnalzte mit der Zunge. »Aber welche Schuld ist das?«
Ich lehnte mich zurück. »Wenn wir das herausfinden, ist das bereits die halbe Miete.«
»Dann nichts wie ran.«
Es war nur dahingesagt, denn weitere Beweise besaßen wir im Moment nicht. Bis auf die beiden handschriftlich
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