1429 - Totenkopf-Ballade
völlig.
Unter diesem Stein lagen die Reste der Kindesmörderin Malinka.
Als ich daran dachte, lief mir schon ein Schauer über den Rücken.
»Sie ist es!«, flüsterte Harry.
»Ja.« Ich richtete mich wieder auf und trat einen Schritt vom Stein weg.
Es war der auf dem Foto. Er selbst hatte sich nicht verändert, wie ich durch einen Vergleich feststellte, aber die Umgebung war eine andere geworden.
Jana gefiel unser Schweigen nicht. Nach einer Weile brach sie es.
»Und was machen wir jetzt? Wollen Sie etwa den Stein wegrollen und das Grab öffnen?«
Harry schüttelte den Kopf. »Keiner von uns ist ein Herkules. Es war erst mal wichtig, dass wir das Grab gefunden haben. Jetzt haben wir den Beweis, dass die Mörderin hier verscharrt worden ist.«
»Warum hat sie wohl einen Grabstein bekommen?«, fragte Jana.
»Bekommen Mörderinnen so etwas?«
»Es kann eine Warnung für andere Menschen gewesen sein«, sagte Harry. »Ich weiß es nicht. Das ist auch kein normaler Grabstein, der Geld gekostet hat. Man hat schlichtweg einen Felsbrocken auf dieses Grab gerollt und ihn liegen lassen. Mehr kann ich dazu nicht sagen.«
Danach hielt unser Schweigen nicht lange an. Es war Dagmar, die sich meldete. »Ich verstehe nicht, dass wir nur von der Mörderin sprechen. Was ist mit den Kindern geschehen? Wo hat man sie begraben? Und wieso kann eine Frau im Wasser einer Badewanne sitzend brennen? Da sind doch Dinge, die uns interessieren müssen. Und warum ist diese Anita Koller überhaupt gestorben?«
»Vielleicht stand sie in einer Beziehung zu der Toten«, meinte Harry.
»Das glaube ich nicht. Diese Malinka ist schon lange tot. Die beiden Frauen werden sich bestimmt nicht gekannt haben. Das passt schon von der Altersstruktur her nicht.«
»Das kann sein.«
Ich hatte mich aus dem Gespräch herausgehalten. Dafür umrundete ich den Grabstein und interessierte mich besonders für die Rückseite. Sie sah nicht anders aus als die vordere. Auch hier wies nichts auf eine erneute Spur hin.
Bei meinen Freunden blieb ich wieder stehen und hörte Harrys Frage.
»Was wollte Anita Koller hier?«
Schweigen.
Harry gab nicht auf. »John, verdammt, du hast das Kreuz. Spürst du, dass es sich verändert?«
»Bisher noch nicht.«
»Aber wenn die Hölle…«
»Muss es denn die Hölle sein?«
Harry schaute mich aus großen Augen an. »Okay, muss es nicht. Es wäre nur am einfachsten gewesen.«
So sah ich das auch. Leider gab es in meinem Bereich zu viele andere Feinde, denn nicht nur die Hölle stand mir als Gegner gegenüber. Genügend andere Wesen aus den Reichen der Finsternis versuchten, mir das Leben schwer zu machen.
Ich wusste, dass dieser Friedhof, der trotz seines Alters auf eine gewisse Art und Weise normal war, diese Normalität nur an der Oberfläche zeigte. Etwas ganz anderes lauerte im Hinter- oder im Untergrund, und das mussten wir hervorlocken.
Ich schaute mir noch mal das Grab an. Wobei man nicht direkt von einem Grab sprechen konnte. Es gab keine Eingrenzungen, keine Steine, die eine bestimmte Fläche markiert hätten. Hier waren nur das flache Gelände und eben der Stein mit der Inschrift zu sehen.
Ich warf einen Blick über meine Schulter. Etwas hatte mich gestört.
Ein Gefühl, ein leichtes Kribbeln. Wir hatten noch Tag, aber auch der war mittlerweile fortgeschritten, und die Sonne stand im August zu dieser Tageszeit nicht mehr ganz so hoch am Himmel.
Ihre Strahlen fielen jetzt schräger auf die Erde und beschienen nur noch die Wipfel der Bäume, sodass die Blätter dort einen goldenen Schein bekamen.
Darunter war es dunkler.
Und dort stand jemand!
Ich zwinkerte mit den Augen, weil ich es nicht richtig glauben konnte.
Von meinen Freunden hatte die Gestalt niemand gesehen. Sie war auch nicht gut zu erkennen, weil sie sich unter den Bäumen nur recht schwach abmalte.
Ein Schatten war es nicht, sondern eine lebendige Gestalt, die sich nur nicht bewegte.
Ich hörte das Schleifen im Gras, und plötzlich stand Harry an meiner rechten Seite.
»Siehst du das, was ich auch sehe?«
»Ja.«
»Und?«
»Ich kann es dir nicht sagen«, flüsterte ich ihm zu. »Aber ich werde es gleich herausfinden.«
»Du willst hin?«
»Genau das.«
»Ich gehe…«
»Nein!«, unterbrach ich ihn. »Du wirst nicht mitgehen. Das ist meine Sache.«
»Na gut. Aber ich darf dir doch den Rücken decken?«
»Dagegen habe ich nichts…«
Nach dieser Antwort ging ich den ersten Schritt…
***
Mir war schon recht seltsam zumute,
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