1437 - Der Weg nach Bentu-Karapau
geworden, daß es mit diesem „Fernweh", dem fast alle Angehörigen ihres Volkes wenigstens für eine kurze Phase ihres Lebens unterlagen, eine besondere Bewandtnis haben mußte.
Die Wissenden hatten dafür gesorgt, daß man sich über diese Dinge nicht allzu gründlich den Kopf zerbrach - zumindest nicht öffentlich. Die Voica waren es auch gewesen, die die Hohen Frauen und über sie das ganze Volk zu immer neuen, größeren Anstrengungen angestachelt hatten. Jeder hatte sich den großen Zielen unterzuordnen, und die Kartanin hatten sich im Lauf der Zeit daran gewöhnt.
So ganz hatten sie diese Gewohnheiten noch immer nicht überwunden, und nach wie vor brachte das Volk Opfer, aber immerhin waren die Ziele näher gerückt.
Sie waren für jeden Kartanin begreifbar.
Es ging nicht mehr um irgendein weit entferntes Lao-Sinh, sondern um die Sicherung eines überschaubar gewordenen Sternenreichs. Man baute keine Fernraumer mehr, die so lange unterwegs waren, daß man erst nach Jahren etwas über ihr Schicksal erfahren konnte, falls man überhaupt noch einmal etwas von ihnen hörte, sondern man konzentrierte sich darauf, die Raumflotte zu vergrößern und ihre Schlagkraft zu erhöhen. Auf allen Kolonialwelten gab es starke Verteidigungsanlagen. Überall in diesem neuen Sternenreich existierten waffenstarrende Raumstationen, zu Festungen ausgebaute Monde und gewaltige Flottenstützpunkte.
Und trotzdem hatte sich der Lebensstandard der Kartanin spürbar und sichtbar erhöht.
Kein Zweifel - die „neue" Politik der Hohen Frauen, die natürlich nur für Dao-Lin-H'ay und ihre Schicksalsgefährten wirklich neu war, bekam dem Volk der Ardustaar-Kartanin sehr gut.
Warum, so fragte sich Dao-Lin-H'ay, hatte sie trotzdem ein so schlechtes Gefühl bei dem Gedanken an diese Veränderungen?
Wahrscheinlich lag es an den Begleitumständen.
Wären da nicht die kriegerischen, auf Eroberungen erpichten Kartanin aus Hangay gewesen, so hätte dies eine Zeit des Fortschritts und der Weiterentwicklung sein können. Dies war es auch jetzt, nur vollzog sich der Fortschritt leider fast ausschließlich auf militärischem Gebiet. Und noch war kein Ende dieser Entwicklung abzusehen.
Vergiß es! sagte sie in Gedanken zu sich selbst. Sieh lieber zu, daß du dich so schnell wie möglich mit der MARA-DHAO und ihrer Besatzung vertraut machst.
Wenn du erst in Schwierigkeiten steckst, wirst du dazu keine Zeit mehr haben.
Aber eigentlich sollte es mit den Schwierigkeiten noch etwas dauern, denn noch befanden sie sich im Innern jener Raumkugel, die jetzt das kartanische Sternenreich darstellte, in einem Gebiet, das von den Kartanin als absolut sicher bezeichnet wurde.
Auch das war neu für Dao-Lin-H'ay: Diese Selbstsicherheit, mit der die Kartanin - und dies betraf durchaus nicht nur Mai-Ti-Sh'ou - über ihr neues Sternenreich sprachen.
Früher waren sie von einem steten Mißtrauen beherrscht gewesen, und dieses Mißtrauen hatte oft die seltsamsten Blüten getrieben.
Dao-Lin-H'ay wußte besser als irgendein anderes Mitglied ihres Volkes, daß gerade dieses ständige Mißtrauen ein Phänomen war, das man in jeder Hinsicht als negativ einzustufen hatte: Die Kartanin hatten sich durch ihre Unfähigkeit und mangelnde Bereitschaft, den Angehörigen anderer Völker zu vertrauen, viele Chancen verscherzt, und sie hatten sich dabei von jener friedlichen Koexistenz, nach der sie sich eigentlich sehnten, immer weiter entfernt.
Man konnte wirklich nicht behaupten, daß die Kartanin diesem Ziel heute näher waren als damals, und doch behaupteten sie frisch und unbekümmert, daß ein Flug nach Vaarjadin so ungefährlich wie ein-Spaziergang in der Hauptstadt von Kartan sei. „Ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß die Maakar jetzt wirklich so absolut friedlich sein sollen", sagte Dao-Lin-H'ay zu Mai-Ti-Sh'ou. „Zu meiner Zeit waren sie es jedenfalls nicht."
„Sie haben sich verändert", behauptete Mai-Ti-Sh'ou selbstsicher. „Ich kann mir gut vorstellen, daß es für dich überraschend ist, denn es ist angesichts der historischen Daten auch für uns noch immer sehr schwer zu verstehen. Aber es mag mit diesem anderen Volk zusammenhängen, das zwischen uns und den Maakar vermittelte. In einem fernen Nebel - einem anderen als Sayaaron - leben Wesen, die den Maakar sehr ähnlich sind und von denen sie offenbar abstammen. Diese Wesen hatten schon den vierten Giftatmerkrieg beendet. Sie kamen später wieder und führten lange Gespräche mit den Maakar.
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