1438 - Die Urzeit-Falle
Fähre, und er schaute zu den fernen Inseln hin, die im Glas ganz nahe waren.
Die Wellen mit ihren hellen Kämmen waren für ihn so etwas wie kostbare Perlenketten, das Wasser erinnerte ihn manchmal an Glas, und der wunderbare Himmel war von einer Weite, die ihn an die Unendlichkeit erinnerte. Irgendwann würde auch er dort eintauchen. Doch er hoffte, dass ihm noch das eine oder andere Jahr blieb.
Er spürte die Veränderung der Jahreszeit in seinen Knochen. Es gab leider auch hier heftige Winterstürme. Sie würden bald kommen. In seinen Knochen zog es, und dann zeigte die Welt ihr anderes Gesicht. Das raue, das wilde und oft unberechenbare.
Auch die Anzahl der Fähren hatte sich verringert. Es fuhren nicht mehr so viele. Sie brachten jetzt die wahren Genießer auf die Inseln, die sich am Herbst erfreuten.
In den kleinen Orten an den Küsten hatten nur noch wenige Lokale geöffnet. Manche Besitzer zogen sich aufs Festland zurück, wo sie überwinterten. Dort war das Klima nicht so rau. Denis Kirikos und seine Familie aber würden bleiben.
Nur würde der alte Mann dann nicht mehr so oft auf der Terrasse sitzen, nur bei Sonnentagen, die es im Winter zur Genüge gab. Dann würde er sich in seinen dicken, mit Schafsfell gefütterten Mantel hüllen und die Zeit an sich vorbeistreichen lassen.
Es wurde auch jetzt schon kühler. Er merkte es am Wind, der durch sein Gesicht fuhr. Ein leichtes Frösteln durchrann ihn. Früher hatte ihm das Wetter nicht so viel ausgemacht. Er war eben älter geworden. Schon über siebzig, und da reagierte man anders als ein junger Mann.
Zum letzten Mal an diesem Tag hob er sein Fernglas an. Beim letzten Blick durch das Glas hatte er einige Boote gesehen. Die waren jetzt verschwunden. Als hätte sie der Horizont aufgesaugt.
Das Meer lag ruhig vor ihm. Er genoss den Blick auf die lange Dünung. Die Wellen sahen kristallklar aus. Für ihn war jede ein kleines Wunder, das entstand und gleich darauf wieder zusammenbrach, wobei unzählige Perlen in die Luft geschleudert wurden.
Etwas störte Denis Kirikos!
Freunde von ihm behaupteten, dass er der große Kenner der See war. Das traf irgendwie auch zu, denn Kirikos fiel jede Veränderung sofort auf, und das war jetzt der Fall.
Das Meer hätte ruhig sein müssen. Das war es im Prinzip auch, nur nicht an einer bestimmten Stelle, und genau das weckte das Misstrauen des alten Mannes.
Er fixierte seinen Blick auf einen bestimmten Punkt. Dort war es mit der gleichmäßigen Dünung vorbei, und auch die Färbung des Wassers war anders, als würde sich unter der Oberfläche ein Schatten bewegen, der nicht entdeckt werden wollte.
Denis schüttelte den Kopf. Er flüsterte etwas vor sich hin. Über dem Glas hoben sich seine Augenbrauen an. Er wunderte sich darüber, dass sein Herz etwas schneller schlug als gewöhnlich. Was er dort sah, hatte seiner Meinung nach keine natürliche Ursache. Da musste etwas unter Wasser passiert sein.
Ein Strudel möglicherweise. Oder ein schwaches Seebeben, was er allerdings nicht glaubte, denn dann hätte sich der Unruheherd nach allen Seiten ausgebreitet, was hier nicht der Fall war. Der ungewöhnliche Vorgang schien sich nur sehr langsam und in eine Richtung zu bewegen, nämlich auf ihn und die Insel zu.
Andere hätten das Glas sinken lassen und hätten sich zurück ins Haus begeben. Denis tat es nicht. Er blickte weiter aufs Meer hinaus und machte sich seine Gedanken, die sich zu einer Frage verdichteten.
Was war dort unter der Meeresoberfläche los?
Auch in der nächsten Minute veränderte sich das Geschehen dort draußen nicht. Der alte Mann spürte, dass seine Arme in dieser ungewöhnlichen Haltung schlapp machten. Er ließ sie sinken. Sie hatten kaum seinen Schoß berührt, als er hinter sich die leisen Schrittgeräusche hörte. Noch bevor er den Kopf drehen konnte, hörte er die Stimme seines Sohnes.
»Ist es dir nicht allmählich zu kalt, Vater?«
Denis lachte auf. »Ja, du kennst mich gut. Ich wollte eigentlich ins Haus fahren.«
»Dafür wäre ich auch.« Paul Kirikos blieb hinter seinem Vater stehen. Er war ein groß gewachsener Mann. Die graue Haarpracht fiel bei ihm auf. Vor zwei Jahren hatte sie sich zu färben begonnen. Damals war sie noch tief schwarz gewesen.
»Warum bist du nicht schon gefahren?«
Denis hob die Schultern an. »Ich wollte ja, aber es gibt da ein Problem.«
»Ach. Welches denn?«
»Das Meer.«
»Bitte?«
»Ja, mein Sohn. Es verhält sich nicht so, wie es sich verhalten
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