144 - Der Flug der Todesrochen
erster Linie einen telepathischen Sender sahen, hatten also Recht. Die Todesrochen besaßen keinen eigenen Willen, sondern beobachteten nur und meldeten Auffälligkeiten weiter. Ohne Anweisung eines Daa’muren griff kein Rochen an. Jedenfalls nicht ohne triftigen Grund.
Die Tiere waren mit Sicherheit auf Selbstverteidigung programmiert und für bestimmte Aufgaben abgerichtet, aber wenn ein Artgenosse friedlich in ihrer Nähe weilte, gab es offenbar keinen Grund, in irgendeiner Form zu reagieren.
Diese Viecher besaßen keinerlei soziales Verhalten. Asexuell, wie sie waren, kannten sie nicht mal Urmuster wie den Fortpflanzungstrieb.
Wenn es denkende Wesen gab, die noch einsamer lebten als Aiko, dann diese Flugrochen.
Irgendwie traurig.
Der Cyborg ließ Manta One über den Todesrochen steigen und löste die Sprühdüse am Bauch der Attrappe mit einem Gedankenimpuls aus.
Lautlos drangen eine Million Viren ins Freie und verteilten sich in der Luft. Das reichte völlig aus, um ein drei Kubikkilometer großes Gebiet für mehrere Minuten mit einer sofort wirksamen Dosis zu kontaminieren. Von der Windströmung verteilt, blieben die Erreger auch in kleinen Mengen hoch ansteckend, bevor ihr auf fünf Tage begrenzter Lebenszyklus von allein erlosch.
In fünf Tagen dürften die Viecher ohnehin Geschichte sein.
Zumindest wenn alles gut ging.
Geruchlos und unsichtbar bereitete sich die Viren aus. Nur die Sensoren an der imitierten Bauchdecke und die Luftfilter warnten. Aiko kippte mit Manta One zur Seite ab und setzte unbehelligt seinen Weg nach Osten fort.
Fünf Kilometer später unterbrach er die Reise und begann zu kreisen.
Der Rochen, den er kontaminiert hatte, lag weiter ruhig in der Luft. Minutenlang schien es, als würde der Virus überhaupt keine Wirkung zeigen. Dann aber geriet der Rochen ins Trudeln – und stürzte wie ein Stein zu Boden. Inmitten von gelb und violett blühendem Steppenkraut schlug er mit dem Kopf voran auf. Sein flacher Rumpf knickte durch wie ein biegsames Spielzeug.
Aiko schoss sofort los, um sich die Sache aus der Nähe anzusehen. Als er die Absturzstelle erreichte, wand sich das Tier noch vor Schmerzen. Sein langer Schweif zuckte unruhig im borstigen Kraut umher, doch ihm fehlte bereits die Kraft, sich noch einmal aufzubäumen.
Der grüne Kristall löste sich aus der schneeweißen Rochenstirn und plumpste zu Boden. Er war nun dunkler und seltsam matt. Und er funkelte nicht mehr, trotz der Sonne.
Weiße Schaumflocken bedeckten den schweißnassen Rumpf des sterbenden Rochen. Ein letztes Zucken, dann sank er leblos in sich zusammen. Sein Fleisch wurde weich und begann sich aufzulösen, bis die ersten Knochen zwischen klaffenden Schaumspalten hervor schimmerten.
Der Virus leistete ganze Arbeit. Das Tier zerfiel regelrecht in seine Bestandteile.
Aiko warf einen Blick auf das ISS-Funkgerät, dessen Empfangsdiode grün leuchtete. Die Raumstation stand in einem günstigen Winkel über Ruland. Er nutzte die Gelegenheit, um eine codierte Erfolgsmeldung abzusetzen.
Danach stieg er mit dem Gleiter wieder auf und setzte seinen Flug auf den Kratersee fort.
***
Das Dorf der Narod’kratow
Während der ganzen Zeit, in der die Eier entladen und ins Bergwerk geschafft wurden, blieb es friedlich. Doch kaum stand der Transportwurm an der Tränke, folgte schon der nächste Eklat. Veda’lin’mawil konnte es einfach nicht länger ertragen, dass ihm der Hal auf Schritt und Tritt folgte und seine geistigen Fühler nach ihm ausstreckte. Nicht um zu kommunizieren, nein, sondern um ihn zu überwachen.
(Was willst du?) Veda’lin’mawil fuhr herum. (Hör endlich auf, mir an den Schuppen zu kleben!) Wut pulsierte durch seine Adern. Süße, erfrischende Aggression, die ihn seine Existenz bis in die letzte Zelle spüren ließ.
(Wie redest du mit mir?) Veda’hal’fiio zitterte bei seiner Antwort. (Ich bin ein Bewährter, du noch ein Lernender!) Ja, er zitterte vor Aufregung, so sehr wühlte ihn der Konflikt auf.
Gleichzeitig tat er alles, um ihn immer wieder neu zu entfachen. Veda’lin’mawil hegte langsam den Verdacht, dass der Höhere ihn so stark bedrängte, weil er selbst das Ansteigen des Adrenalinpegels genoss.
(Wie kannst du es wagen, mir so etwas zu unterstellen? Das werde ich Veda’lun’uudo melden!)
»Aha! Du spionierst mich also doch aus!« Veda’lin’mawil gebrauchte sein Stimmbänder, um die harte Vibration im Hals zu spüren. »Dann teile dem Mächtigen doch auch gleich mit, was in
Weitere Kostenlose Bücher