1441 - Der Seelenfluss
keine Vorstellungen von Susas Vater gemacht. Nun war er doch ein wenig überrascht, als er einen Mann vor sich sah, den er so nicht erwartet hätte.
Er war klein, dabei kompakt gebaut. Der Kopf wirkte im Verhältnis zum Körper recht groß. Runde Wangen, dunkle Haare, die sorgfältig gescheitelt waren, kleine Augen und ein kleiner Mund.
Han-Check trug ein weißes Hemd und eine blaue Stoffhose. Die Ärmel des Hemdes hatte er hochgekrempelt. Man konnte seine Arme durchaus als fleischig beschreiben. Dementsprechend dick waren auch die Finger.
Susa sagte nichts, aber ihre Angst war geblieben. Das spürte Suko, und deshalb übernahm er auch das Wort.
»Ich bringe Ihnen Ihre Tochter zurück, Han-Check.«
»Ja, das sehe ich. Und wer sind Sie?«
»Ich heiße Suko.«
Ein kurzes Zusammenzucken. Suko entging diese Reaktion nicht, und er ging davon aus, dass sein Name dem Mann vor ihm nicht unbekannt war.
Han-Check lächelte. »Ich wusste nicht, dass unsere kleine Prinzessin verschwunden war.«
»Ach ja?«
»Der lügt«, flüsterte Susa.
Suko fragte: »Möchten Sie wissen, wo ich Ihre Tochter aufgelesen habe?«
»Bitte? Wie soll ich das denn verstehen? Aufgelesen?«
»So ist es leider gewesen.«
»Dann höre ich zu.«
Obwohl Sitzplätze vorhanden waren, wurden sie ihnen nicht angeboten. Suko gab einen kurzen Bericht ab und beobachtete Han-Check dabei sehr genau, doch in dessen Gesicht regte sich nichts.
»Und jetzt möchte ich gern von Ihnen einen Kommentar hören«, erklärte der Inspektor.
Der Mann strich über sein Kinn. »Sie wollen also erfahren, wie meine Tochter in diese Lage geraten ist?«
»Ja.«
»Da kann ich Ihnen keine Erklärung geben. Sie ist alt genug, um ein eigenes Leben zu führen. Ich kontrolliere sie nicht. Wenn Ihnen jemand eine Auskunft geben kann, dann sie selbst. Deshalb müssen Sie nicht mich fragen, sondern sich an meine Tochter halten.«
»Das habe ich getan. Aber da gibt es Lücken in der Erinnerung. Jemand muss sie in diese alte Scheune geschafft haben, und ich bin mir sicher, dass sie dort abgeholt werden sollte. Sie war gefesselt, sie war das Opfer, und ich frage mich, für wen?«
»Ja, ich auch.«
Suko wusste, dass es schwer war, den Panzer dieses Menschen zu knacken. Der wusste genau, was er tat, was er sagte. Emotionen zeigte er nicht. Weder Freude noch Enttäuschung, doch ein gewisses Lauern in seinem Blick blieb Suko nicht verborgen.
Han-Check nickte Suko zu. »Gut, dann darf ich mich bei Ihnen bedanken, dass Sie sich um meine Tochter gekümmert haben. Wenn ich irgendetwas für Sie tun kann, sagen Sie es mir.«
»Ja, das können Sie!«
»Gut. Und was?«
»Nur die Wahrheit. Ich will die Wahrheit wissen. Erst dann bin ich zufrieden.«
Han-Check gab sich irritiert. »Welche Wahrheit, bitte schön?«
»Wie es möglich war, dass Susa in einen derartigen Zustand geriet und aus diesem Haus verschwand. Ich weiß, dass sie geopfert werden sollte. Und ich weiß auch, dass sie nicht die einzige Person ist, der dieses Schicksal bevorstand. Es hat sich herumgesprochen, dass aus Chinatown einige junge Frauen spurlos verschwunden sind. Man spricht davon, dass sie zu Opfern bestimmt waren, um die Seelen der Ahnen gnädig zu stimmen. Es geht das Gerücht um, dass der Schamane oder dessen Geist wieder erschienen ist. Der große Wu, wie man ihn in alten Zeiten auch nannte. Sollte Ihnen das entgangen sein? Wie war das denn noch? Zu allen Zeiten hat man dem Schamanen Opfer dargebracht, die er brauchte, um die Ahnen und Götter gnädig zu stimmen.« Suko nickte. »Sie sehen, dass ich die Geschichte kenne. Aber ich will nicht, dass die Vergangenheit zurückkehrt und sich hier breit macht, auch wenn es Menschen geben mag, die auf den Schamanen setzen, damit er ihnen den richtigen Weg weist. Ich glaube schon, dass Sie mich verstanden haben.«
»Ja, das habe ich.«
»Sehr gut.«
Han-Check legte seine Fingerspitzen zusammen. »Wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann verdächtigen Sie mich, dass ich mit diesem Schamanen zusammenarbeite?«
»Das haben Sie gesagt. Wenn ich an Ihre Tochter denke, dann bleibt mir nichts anderes übrig, als auf diesen Gedanken zu kommen. Das sollten Sie einsehen.«
»Dann war ich daran beteiligt, meine Tochter dieser anderen Seite zu übergeben?«
»So könnte es gewesen sein.«
Han-Check lachte leise. »Und können Sie mir auch einen Grund für mein angebliches Verhalten nennen?«
»Ja, das ist möglich. Sie könnten große Vorteile daraus ziehen, denke
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