1442 - Die grauen Eminenzen
Wissen streben. Wissen ist Macht, und die wahre Macht gehört dem, der die Harmonien des Universums zu deuten versteht. Hört mir zu, wenn ich von der unübertrefflichen Weisheit der anorii spreche, die als erste die Schwingungen des Kosmos verstehen lernten und die Schwarzen Sternenstraßen bauten..."
Der subkutane Empfänger sprach an. „Linke Rampe Südseite", war Gulliver Smogs Stimme zu hören. „Eben hereingekommen."
Langsam wandte Julian Tifflor den Kopf. Pontima Scud stand neben ihm, mit gespannter Aufmerksamkeit in Gion Shaub Ayns Vortrag vertieft. Am Ausgang der linken südlichen Rampe war eine hochgewachsene, vermummte Gestalt erschienen. Sie schien von humanoider Form, soweit der schwere, graue Umhang, der bis zum Boden reichte, dies erkennen ließ. Das düstere Kleidungsstück war mit einer Kapuze ausgestattet, die der Fremde so zurechtgezogen hatte, daß sein Gesicht im Schatten lag. „Noch einer." Das war Vanda Taglias Stimme. „Ostseite Mitte."
„...die Technik begreift, die den Kontrollstationen der Schwarzen Sternentore innewohnt", dröhnte Gion Shaub Ayn, „dem bieten die anorii Gelegenheit, in ihre Dienste zu treten. So ist es den Völkern der Aiscrou und der Vaasuren geschehen. Aus einer besonderen technischen Begabung leiten die Cutenexer ihre angesehene Stellung als Verwalter der Sternenstraßen ab, und von den Gimtras ist zu sagen ..."
„Der dritte", flüsterte Tyly Chyunz aus dem Mikroempfänger. „Nordseite rechts."
Sie sahen alle gleich aus. Sie waren ein gutes Stück über zwei Meter groß und trugen dieselbe Art von vermummender Kleidung: graue, kapuzenbewehrte Umhänge. Warum sie sich verhüllten, war Julian Tifflor ein Rätsel. Fürchteten sie die Neugierde derer, die hierhergekommen waren, um Gion Shaub Ayn sprechen zu können? Wollten sie, die wahren Herren der Schwarzen Sternenstraßen, nicht erkannt werden, während einer ihrer Jünger sich in bombastischen Tönen über ihre Weisheit äußerte?
Im Augenblick noch schenkte niemand ihnen Beachtung. Die Zuhörer waren in die Rede des weisen Gimtras vertieft. Er sprach nicht viel Greifbares, und wie jemand anhand seines mit blumigen Redewendungen verzierten Geschwätzes das Geheimnis der Sternenstraßen verstehen lernen sollte, war dem Unvoreingenommenen unklar. Aber Gion Shaub Ayn war sicherlich ein begnadeter Redner, und allein der Klang der rauhen, dröhnenden Stimme reichte hin, die Anwesenden in seinen Bann zu schlagen. „Los jetzt", sagte Tifflor.
Er sah Gulliver Smog aufstehen. Der Hüne, dem die Mannschaft der CASSIOPEIA den Spitznamen „der Ertruser" verliehen hatte, fand es schwer, sich einen Weg durch die Menge zu bahnen. Niemand wankte oder wich von seinem Platz. Das kam Smog freilich gerade recht; denn sein Auftrag lautete, ein bißchen Unruhe zu stiften. Man sollte auf ihn aufmerksam werden - besonders die drei vermummten Fremden. Er kletterte über drei lazertide Kreaturen hinweg und achtete darauf, einem der Echsenähnlichen das Knie gegen die Schulter zu rammen, so daß er hintenüber fiel. Auf dem obersten Rang entstand Unruhe, bis man begriff, daß der Fremde die Absicht hatte, das Gebäude zu verlassen. Das verstanden zwar die nicht, die Gion Shaub Ayn nach wie vor wie verzaubert lauschten. Aber der Respekt vor der humanoiden Gestalt war doch so groß, daß man ihr bereitwillig Platz machte.
Gulliver Smog entledigte sich seiner Aufgabe mit Geschick. Die drei Vermummten waren längst auf ihn aufmerksam geworden, als er den Ausgang der Rampe erreichte. Der weise Gimtra fuhr fort zu dröhnen. Es störte ihn nicht, daß einer der Zuhörer von seinem Vortrag so wenig hielt, daß er das Ende nicht abwarten sollte. Smog stampfte die Rampe hinab. Als Gion Shäub Ayn eine kurze Pause machte, hörte man den Terraner lauthals vor sich hin fluchen, und Sekunden später öffnete sich summend die Tür.
Inzwischen hatten sich auch Vanda Taglia, Tyly Chyunz und Boider Bahn in Bewegung gesetzt. Sie gingen manierlicher zu Werk als der >Ertruser< und gaben sich Mühe, die Rede des Gimtras nicht zu stören. Julian Tifflor bemerkte Unruhe bei den Vermummten. Sie waren mißtrauisch geworden, weil sie sich nicht erklären konnten, warum die Fremden ausgerechnet jetzt aufbrechen wollten. Tifflor konnte nicht erkennen, wie sie sich miteinander verständigten - vermutlich auf ähnliche Weise wie er mit seinen Begleitern. Die Gestalt an der Südwand der Halle wandte sich in Richtung des Ausgangs.
Julian Tifflor war
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