Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

1442 - Die grauen Eminenzen

Titel: 1442 - Die grauen Eminenzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
Vom Netzwerk:
die Nacht, als er auf die Tür zuschritt. Das Licht des roten Mondes traf schräg auf die dem Hang zugewandte Seite des Gebäudes und erzeugte einen Schatten, der bergauf wies. Die Kante des Hauses war mit dem Lot geschnitten, und wie mit dem Lineal gezogen hätte auch der Schatten sein müssen.
    Die Ausbuchtung hatte annähernd die Form einer humanoiden Gestalt. Julian Tifflor sah sie und blieb stehen. „Wer ist da?" fragte er.
    Es kam keine Antwort. Er schritt auf die Gebäudekante zu. Da geriet der Schatten in Bewegung. Ein Umriß mit undeutlichen Konturen löste sich von der Seite des Hauses und eilte davon, auf die hohen Büsche zu, die längs des Hanges gepflanzt waren. Der Fremde verschwand im Gewirr des Buschwerks. Er war von humanoider Gestalt, und als Julian Tifflor sich bückte, um die Spur zu untersuchen, die er hinterlassen hatte, da sah er Abdrücke, die von einem terranischen Schuh hätten stammen können. „Gib dir keine Mühe, dich vor mir zu verstecken", sprach er laut in die Stille der Nacht. „Eines Tages werden wir miteinander reden müssen."
     
    *
     
    Der Morgen ließ lange auf sich warten.
    Mareesh drehte sich einmal in 38 Stunden um seine Achse. Gulliver Smog und Vanda Taglia waren dazu abkommandiert, die Küchenautomatik zur Herausgabe eines wohlschmeckenden Frühstücks zu veranlassen, und entledigten sich ihrer Aufgabe mit Bravour. Tyly Chyunz bereitete sich ein Mahl nach bluescher Manier und hatte ebenfalls nur Lob für den Automaten übrig.
    Pontima Scud meldete sich kurz nach Sonnenaufgang. Er war die Höflichkeit in Person. Mit keinem Wort ging er darauf ein, daß es am Abend zuvor zwischen ihm und Tifflor eine Meinungsverschiedenheit gegeben hatte. „Ich habe ein Gespräch mit dem aturre vereinbart", sagte er. „Wenn ihr mich begleiten wollt - ich breche in einer Stunde auf."
    „Deswegen sind wir hier", antwortete Julian Tifflor. „Selbstverständlich sind wir mit dabei."
    Das Gästehaus besaß einen unterirdischen Abstellplatz, in dem drei Gleitfahrzeuge geparkt standen. Julian Tifflor hatte Bolder Dann als seinen Begleiter gewählt. Pontima Scud übernahm das Steuer. Das Fahrzeug glitt den Hang hinab und fand zielsicher eine sorgfältige gepflegte Schneise, die geradlinig durch das Dickicht des Dschungels führte. Bunte Falter gaukelten in fleckigem Sonnenlicht, das durch das Blattwerk filterte.
    Gefiedertes Getier nahm Reißaus vor dem Fahrzeug, das sich fast geräuschlos durch den Wald schob. In den mit Lianen verkleideten Bäumen zur Rechten und zur Linken turnten Pelzwesen, Kreuzungen zwischen Seidenaffen und Eichhörnchen, wie es dem Auge des Terraners erschien.
    Es war eine friedliche Welt, voller Wärme und arglosen Lebens. Julian Tifflor erinnerte sich an die Worte, die Gulliver Smog gestern gesprochen hatte: Hier ließ es sich aushalten. Hierher konnte sich ein Mensch zurückziehen, wenn die Arbeit getan und die Zeit zum Ausruhen gekommen war.
    Philosophenfürsten hatten sie die aturre genannt. Aber Gion Shaub Ayns Behausung war alles andere als fürstlich.
    Eine runde Hütte, .aus dem Holz des Waldes gebaut und mit den breiten Blattwedeln bananenähnlicher Gewächse bedeckt, war das Heim des Weisen. Es stand auf einer Lichtung, nahe dem südlichen Zipfel der Landzunge, die die Bucht nach Osten hin begrenzte.
    Unmittelbar neben der Hütte erhob sich ein schmuckloser, langgesteckter Baum von rechteckigem Grundriß. Pontima Scud erklärte, daß Gion Shaub Ayn dort Lehrveranstaltungen abhalte und das Bauwerk mehr als fünfhundert Besucher fasse.
    Das Innere der Hütte war durch eine aus Gerten geflochtene Trennwand in zwei Räume geteilt. Ein bunter Vorhang verhüllte den Durchgang. Unregelmäßig geformte Fenster sorgten für Helligkeit.
    Der Boden war mit weichen Teppichen bedeckt. Das spärliche Mobiliar bestand aus exotisch geformten Stücken. Das Holz der Wände verströmte einen Duft, der an Zedern erinnerte.
    Der bunte Vorhang wurde beiseite geschlagen, und der Hausherr erschien. In aufrechter Haltung war Gion Shaub Ayn etwa anderthalb Meter groß. Seine Kleidung bestand aus einem hellen Kaftan, der von einem ledernen Band gegürtet wurde. Der Weise musterte die Gäste mit durchdringendem Blick. Dann nahm er auf einem Möbelstück Platz, das Ähnlichkeit mit einem terranischen Reitsattel hatte. Er legte sich mit dem Bauch darauf und ließ Arme und Beine baumeln. Dann begann er zu sprechen. Seine Stimme hatte einen rauhen Klang. Er sprach Neyscam, aber seine

Weitere Kostenlose Bücher