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1444 - Legende und Wahrheit

Titel: 1444 - Legende und Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
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es die Leiche der Mutter?"
    Nias Stimme kam aus der Finsternis unmittelbar neben Julian Tifflor. „Wir fanden es vor vielen Jahrhunderten", antwortete Shyrbaat. „Es war plötzlich da. Wir nahmen an, daß das Schwarze Sternentor aguiri es ausgespien haben müsse. Aber sicher konnten wir unserer Sache nicht sein; denn wir hatten uns lange Zeit nicht um aguiri gekümmert.
    Wir untersuchten es und fanden Bestandteile, deren technische Einrichtung noch funktionierte. Wir fanden positronische Geräte, wie unsere Vorfahren sie vor Jahrtausenden zu benützen pflegten. Einige davon besaßen noch die Fähigkeit zu sprechen. Wir analysierten die Sprache und begannen, die Worte zu verstehen, die zu uns gesprochen wurden.
    Sinn ergaben sie allerdings nicht."
    „Du beantwortest meine Frage nicht", drängte Nia Selegris. „Warum nennt ihr es die Leiche der Mutter?"
    „Das hängt mit den Worten zusammen", sagte der Anoree. „Die Wesen, die einst in diesen Trümmern wohnten, verehrten eine Allmutter. Ich kenne den Text einer Liturgie, die zu Ehren der Allmutter zitiert wurde..."
    Julian Tifflor war unruhig geworden. „Laß ihn uns hören!" rief er und schnitt damit dem Translator das Wort ab.
    Shyrbaat reagierte nicht sofort. Es kostete ihn Mühe, sich die Worte ins Gedächtnis zurückzurufen, die er vor weiß wie langer Zeit gehört hatte. Schließlich begann er, stockend zuerst, dann immer flüssiger: Illu, Illu, Illu!
    Du, bist du bist - Die Wärme Das Licht Das Wasser und die Luft Die Welt Das All.
    Heil dir, Illu.
    Ein paar Sekunden lang war es unglaublich still in der riesigen, kugelförmigen Halle. Die Sterne der fremden Galaxis Gorandaar leuchteten von den Wänden, und niemand sagte ein Wort.
    Plötzlich: ein Schrei. Das war Bolder Dahns Stimme. „Illu Siragusa! Sie lebt noch!"
    Es gab kein Echo im mächtigen Rund.
    Bolders Worte waren verhallt, kaum daß sie seine Lippen verlassen hatten. Wieder trat Stille ein. Abermals vergingen ein paar Sekunden, während die YALCANDU sich auf das Trümmerfeld zuschob und die Einzelheiten immer deutlicher wurden.
    Dann sprach Nia Selegris. Ihren Worten war keine Erregung anzumerken. „Du irrst dich, Bolder."
    „Aber du hörst es doch...!"
    „Du hast es auch schon einmal gehört, Bolder. Erinnere dich. Damals, als wir Point Siragusa anflogen. Das Wrack..."
    „Nein!" stöhnte Bolder Dahn. „Doch!" mahnte Nia Selegris. „Das Wrack war früher Bestandteil eines riesigen Raumschiffs. Beim Versuch, ins Schwarze Loch Siragusa zu tauchen, war das Schiff auseinandergebrochen. Der kleinere Teil blieb im Siragusa-Sektor zurück. Wie es dem größeren erging, wußten wir bisher nicht."
    „Du meinst... du meinst..." Bolder Dahn war so aufgeregt, daß ihm die Worte nur noch stockend über die Lippen kamen. „Die Trümmer dort..."
    „...sind die Überreste der NARGA SANT", vollendete Nia den abgebrochenen Satz.
     
    *
     
    Julian Tifflor trieb langsam durch die Trümmerwüste. Er hatte dem Pikosyn sein Vorhaben mitgeteilt, und die Autopilotenkompenente vektorierte das Gravo-Pak entsprechend. Wenn er den Blick wandte, sah er hinter sich die Umrisse der YALCANDU - nicht mehr als ein Schatten im schwachen Licht der fernen Sonnen. Zur Rechten und zur Linken erblickte er je einen schwachen Lichtpunkt: Bolder Dahn und Gulliver Smog. Sie hatten es sich nicht nehmen lassen, ihn zu begleiten.
    Das Gefühl der Unwirklichkeit, das von seinem Bewußtsein Besitz ergriffen hatte, als er Shyrbaat die Worte der alten Liturgie aufsagen hörte, war noch nicht gewichen.
    Er erschauerte, als er erkannte, daß es derselbe Text war, den er vor einem Jahr an Bord des Wracks im Siragusa-Sektor gehört hatte. Die Überlebenden der 18.
    Generation verehrten eine mythische Gestalt namens Illu als Allermutter - nicht Allmutter, wie Shyrbaat sich zu erinnern glaubte. Auch die jeweilige Befehlshaberin des Wracks trug den Titel Illu. Der Glaube an die Allermutter war ihm damals als das verständliche Resultat einer Entwicklung erschienen, die Tausende von Kartanin jahrhundertelang an Bord eines wracken Fahrzeugs gefangengehalten und eine Schicht Zivilisiertheit nach der anderen von den Seelen der Überlebenden abgeblättert hatte, bis zum Schluß nur noch die barbarische Primitivität übrigblieb.
    Achtzehn Generationen hatten die Kartanin in Kälte und Finsternis, mit einem Minimum an Proviant und Atemluft überdauert. Es schien natürlich, daß sie schließlich begannen, an mystische Gottheiten zu glauben, mochte

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