1446 - Der Eis-Schamane
ich ehrlich sein soll.«
»Was befürchten Sie denn?«
Er winkte ab. »Lassen wir das lieber.«
»Wie Sie wollen. Allerdings wundert es mich schon, dass Sie mir so wenig Vertrauen entgegenbringen.«
»Das hat damit nichts zu tun. Ich habe Ihnen ja vertraut. Ich möchte Sie nur nicht vorher schon nervös machen. Das ist der Grund.«
Maxine lächelte. »Okay, dann werde ich mich von dem Phänomen überraschen lassen.«
»Das können Sie auch.«
Der schmale Weg senkte sich ein wenig. Es ging zwar nicht direkt bergab, aber so schnell wie zuvor konnte Mike Todd nicht mehr fahren. Er musste schon behutsamer mit Gaspedal und Bremse umgehen, um auf dem Weg zu bleiben.
»Schauen Sie mal nach links, Maxine.«
Das tat sie. Das Gelände bildete dort eine schneebedeckte Senke, in deren Mitte sich ein großes Auge abmalte, eben der kleine See, der zugefroren war. Eine weiße Schicht lag auf ihm. Sie war allerdings nicht sehr dick, denn das graue Eis schimmerte noch durch.
»Was ist dort?«
»Unser Ziel.«
Dass der Förster sich auskannte, bewies er in den nächsten Sekunden, denn da lenkte er den Wagen nach links und fuhr wieder in das freie Gelände hinein. Jedenfalls sah es für Maxine so aus. Tatsächlich jedoch gab es auch hier einen schmalen Pfad, den wohl nur jemand kannte, der hier arbeitete.
Die Reifen wühlten den Schnee auf. Ein wildes Gestöber aus Kristallen umwirbelte den Wagen. Manchmal wurden auch kleine Eisklumpen in die Höhe geschleudert oder knallten unter den Wagen, der vom Förster durch geschicktes Lenken in der Spur gehalten wurde.
»Alles okay, Max?«
»Bei mir schon.«
»Dann konzentrieren Sie sich bitte auf die Eisfläche des Sees.«
»Das tue ich bereits.«
»Sehr gut. Sehen Sie was?«
»Ja – ähm – nein. Oder doch?« Maxine hob den rechten Arm an.
Sie deutete durch die Scheibe. »Können das dort auf dem Eis nicht irgendwelche Gegenstände sein?«
»Wenn Sie das sagen…«
»Aber Sie sagen es nicht?«
Todd hob die Schultern. »Warten Sie noch zwei, drei Minuten, dann haben wir das Ziel erreicht.«
»Gut.«
Sie rollten weiterhin dem Ufer entgegen. Der Boden war auch hier von einer Schneeschicht bedeckt, doch sie lag nicht so hoch, als dass die Unebenheiten nicht zu spüren gewesen wären. Der Wagen wurde einige Male durchgeschüttelt, und Todd musste das Lenkrad hart mit beiden Händen umklammern.
»Das war’s«, sagte der Förster und bremste ab. »Aussteigen?«
»Ja.«
Wieder öffnete Maxine Wells die Tür. Sie trat abermals hinaus in die Kälte, und hier in der Senke erlebte sie den Wind nicht so stark.
Deshalb zog sie sich die Kapuze nicht über.
Der Schnee lag natürlich auch hier, aber nicht so hoch, als dass das Ufer des kleinen Sees nicht zu erkennen gewesen wäre. Aus der weißen Masse ragten noch einige hohe Halme hervor, deren grüne Farbe sich in ein winterliches Braun verwandelt hatte.
»Sie können ruhig vorgehen, Max, das Eis hält.«
Die Frau mit den dunkelblonden Haaren lachte. »Sehen Sie es bitte nicht als Vertrauensbruch an, wenn ich darum bitte, nach Ihnen gehen zu dürfen.«
»Nein, das auf keinen Fall.«
In der nächsten Zeit schwieg die Tierärztin, denn je näher sie dem Ufer kam, umso mehr entdeckte sie auf dem zugefrorenen See. Die Fläche war zwar glatt und von der Farbe her weiß bis grau, aber es gab doch etwas, was sie störte.
Auf dem See verteilt sah sie die dunklen Gegenstände, die nicht dort hingehörten. Das war zumindest ihre Meinung, die sie noch für sich behielt. Sie schaute Mike Todd ins Gesicht, als dieser stehen blieb und sich umdrehte.
»Gehen Sie jetzt vorsichtig, unter dem Schnee kann es verdammt glatt sein.«
»Danke, ich werde mich bemühen.«
Sie hielt sich in Todds Spur. Es war schon zu merken, dass sie über ein anderes Gelände schritten. Da konnte man von einem raueren Untergrund sprechen, der einige Buckel aufwies, doch das alles interessierte die Frau nicht.
Ihr Gesichtsausdruck war dabei, sich zu verändern, denn sie hatte jetzt erkannt, was sich vor ihr auf der Eisfläche verteilte.
Es waren Leichen!
***
Noch zwei Schritte ging Maxine Wells weiter, dann blieb sie stehen.
Auch weil der Förster seine Schritte gestoppt hatte. Er sagte zunächst nichts, weil er seiner Begleiterin Zeit lassen wollte, um das Bild aufzunehmen.
Es war schlimm.
Die Leichen waren keine Menschen. Auf der Eisfläche verteilten sich die Kadaver von Tieren. In der Regel waren es Vögel, aber auch Hasen, Wildschweine oder
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