1455 - Das Gewissen des Henkers
schloss die Tür auf und öffnete sie.
»Das wurde auch Zeit«, flüsterte eine raue Stimme.
Die Faust sah er nicht. Der zweite Mann schlug brutal zu.
Plötzlich konnte Sean nicht mal mehr schreien. Ihm fehlte die Stimme und auch die Luft. Seine Umgebung schwankte und er merkte, dass er sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte. Er brach zusammen, fiel auf die Knie, und ihm war speiübel. Er hörte das dreckige Lachen, sah den dunklen Stiefel vor sich, aber den Tritt sah er wieder nicht.
Die Fußspitze erwischte ihn an der Schulter. Seine linke Seite war von einem Moment zum anderen taub. Der Tritt hatte sie gelähmt, und Sean fiel auf den Rücken.
Sein Plan, noch mal mit den beiden Männern zu reden, war zusammengebrochen.
Er fühlte sich wie ein Käfer, den man auf den Rücken gelegt und hilflos gemacht hatte.
»Das ist unser dritter Besuch. Du hast dich darauf einstellen können. Jetzt wird nicht mehr verhandelt. Jetzt wird nur noch gehandelt.«
Iris Rifkin hatte alles gesehen. Sie stand etwas im Hintergrund des Raumes. Das Messer hielt sie noch fest. Der rechte Arm hing an ihrem Körper hinab, und sie hatte die Klinge hart gegen den Stoff der blauen Jeans gepresst.
Sie hatte sich alles einfacher vorgestellt, aber in diesen schrecklichen Sekunden hatte sie das Gefühl, die Zeit wäre stehen geblieben, um das Böse zu manifestieren.
Sie kannte die Namen der jungen Männer nicht. Einer wandte sich ihr zu. Er trug ein Tuch auf dem Kopf. Vier Knoten hielten es fest.
Seine Haut war dunkel, aber er war kein Afrikaner.
»Du bist ja auch noch da!«
»Ja, das bin ich.«
»Irre Beigabe!«
Iris wusste, was er damit meinte. Er würde sich nicht scheuen, sie zu vergewaltigen. Doch das würde sie nie im Leben zulassen, und so zischte sie ihm zu: »Hau ab!«
Der Typ lachte. »He, du hast noch eine große Klappe? Hast du nicht gesehen, was mit deinem Macker passiert ist? Okay«, sang er beinahe, »okay, ich stelle dich hinten an. Denn vorher sollst du sehen, was wir mit deinem lieben Sean noch alles anstellen. Du wirst dich wundern.«
»Rührt ihn nicht an!« Iris hatte plötzlich Mut gefasst. Es konnte auch daran liegen, dass sie das Stöhnen ihres Mannes so aufputschte. Das Blut stieg ihr in den Kopf, und als sie sah, dass der andere Typ wieder zum Tritt ausholte, da war es mit ihrer Beherrschung vorbei.
Dass sie einen Schrei ausstieß, bekam sie kaum mit. Aber sie warf sich dem Dunkelhäutigen entgegen und riss zugleich die rechte Hand mit dem Messer hoch.
Für einen kurzen Moment glaubte sie, einen Ausdruck von Angst in den Augen des Mannes zu sehen. Es war ihr egal. Sie wollte sich nur nicht fertig machen lassen.
Sie stach zu!
Die Klinge raste nach unten. An eine Finte oder Täuschung dachte sie nicht, und sie dachte auch nicht daran, dass dieser Mensch im Straßenkampf geübt war.
Der Schlag erwischte sie vor dem Zustechen.
Ihr Arm wurde zur Seite gefegt und in die Höhe geschleudert. Der Typ war dicht bei ihr, sie hörte seinen Wutlaut, und plötzlich wurde ihr Handgelenk zur Seite gebogen.
Gleichzeitig wurde der Arm in die Höhe gerissen. Ein Knie bohrte sich in ihren Leib, und wenig später wuchtete ihr Handgelenk gegen einen harten Widerstand.
Ein irrsinniger Schmerz raste durch ihren Arm. Sie konnte den Griff des Messers nicht mehr halten. Die Waffe landete auf dem Boden. Sie selbst bekam den Schlag mit, der sie nach hinten schleuderte und mit dem Rücken gegen die Wand prallen ließ.
Iris wunderte sich, dass sie nicht zu Boden sackte. Sie blieb auf den Beinen, aber was sie an Schmerzen in ihrem rechten Arm verspürte, war mehr, als ein Mensch aushalten konnte.
Furchtbar. Kaum zu beschreiben. So etwas hatte sie noch nie erlebt. Den Arm konnte sie nicht mehr bewegen, und ihr Handgelenk schien von einem Feuerring umgeben zu sein.
Vor ihr stand der Farbige. Er grinste. Er hielt jetzt ihr Messer fest.
In seinen Augen leuchtete die Gier, als er flüsterte: »Du kommst da nicht raus! Wir machen euch beide fertig. Erst deinen Alten und dann dich. Aber du kannst zuschauen.«
Iris wusste nicht, wie sie reagieren oder was sie noch sagen sollte.
Sie war völlig am Ende. In ihrem Kopf rauschte es, und die Schmerzen hatten auch nicht nachgelassen.
Aber es gab auch ihren Mann, der am Boden lag und sich krümmte. Ihre eigene Not hatte sie zwar nicht vergessen, doch wenn sie Sean anschaute, dann, dann…
Die Flüsterstimme unterbrach ihre Gedanken. »Du solltest jetzt genau hinschauen, was mit
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