1458 - Die Mordkapelle
hatte im Schuppen frisch gespaltenes Holz stapeln müssen. Es war ein Job, den er nur widerwillig verrichtete, wie fast alles, was nach Arbeit roch, aber er lebte auf dem Hof seiner Eltern, wurde von ihnen ernährt und auch durchgezogen, wie sein Vater immer zu sagen pflegte. Und da musste er sich eben nützlich machen, was er dann auch tat.
Mit den Gedanken war er nicht bei der Sache. Er packte zwar die Scheite, legte sie entsprechend hin, aber dass es sich dabei um Holz handelte, bekam er kaum mit.
Wo steckte die Leiche?
Wer hatte sie weggeholt? Wer wusste Bescheid? Und wer konnte ihn und seine Freunde damit erpressen?
Die Antwort kannte er nicht, und das zermürbte ihn. Er hatte die Beherrschung verloren, und das galt auch für seine beiden Kumpane. Hinzu kam noch etwas, was ihn beunruhigte.
Auch wenn die Wagen mit den Sirenen weit entfernt geklungen hatten, alarmiert hatten sie ihn trotzdem. Polizei in Hopewell, das war äußerst selten. Am liebsten wäre Ryan losgerannt, um nachzuschauen. Aber dann hätte er seine Arbeit liegen lassen müssen, und das hätte ihm Ärger mit seinem Vater eingebracht.
Aber es passierte etwas anderes. Plötzlich tauchte seine Mutter im Schuppen auf. Da hatte er das Geheul der Sirenen schon wieder vergessen. Doch als er ihr Gesicht sah, in dem der Schrecken wie eingemeißelt stand, da wurde ihm klar, dass etwas passiert sein musste.
»Was ist los?«
Seine Mutter kam auf ihn zu. Sie war im Ort gewesen, das erkannte er an ihrer Kleidung.
»Du musst jetzt ganz stark sein, mein Junge.«
»Wieso? Ist was passiert?«
»Ja.«
»Und was?«
»Du musst jetzt ganz stark sein, Junge«, wiederholte seine Mutter.
Ryan nickte. Seine große Klappe war ihm vergangen. Er schien in seinem dunkelblauen Arbeitsoverall zusammenzusinken, und erneut kam ihm der Gedanke an Vanessa.
»Was ist denn?«
»Barry ist tot!«
Ryan begriff nicht so recht. »Was hast du gesagt?«
»Dein Freund Barry ist tot!«
»Nein!«
»Doch, mein Junge. Er wurde ermordet.«
Er schwieg. Mit offenem Mund sah er seiner Mutter entgegen, die auf ihn zukommen wollte. Er wich zurück, bis er mit dem Rücken gegen den Holzstapel stieß.
»Ermordet, Mum?«
»Ja. Schlimm.«
»Hast du ihn gesehen?«
»Nein, ich habe nur davon gehört. Es passierte auf dem Feld, auf dem er gearbeitet hat…«
Ryan schüttelte den Kopf. »Und«, flüsterte er. »Hat man schon eine Spur vor dem Mörder gefunden?«
»Nein, noch nicht.«
Ryan nickte. Er fuhr über sein Stoppelhaar, das einen Gelbschimmer zeigte. Sein Gesicht mit der schief sitzenden Nase zuckte. Tränen wollten ihm nicht kommen, aber die Furcht schnürte ihm fast die Kehle zu.
»Es ist gut, Mutter«, sagte er leise. »Ich – ich will jetzt allein sein.«
Mrs Hurst warf einen längeren Blick auf ihren Sohn. »Ja, ist schon gut. Ich verstehe dich. Wir können darüber reden, wenn dein Vater heute Abend zurückkommt.«
»Klar.«
Mrs Hurst drehte sich um und verließ schweigend und in einer gebückten Haltung den nach vorn hin offenen Holzschuppen.
Ryan war froh, dass sie ihn allein gelassen hatte. In seinem Innern tobte es. Es hatte Barry Munson erwischt. Ein Mord war hier noch nie passiert, und plötzlich war er tot.
Warum?
Sie! Verdammt, das konnte nur mit ihr zu tun haben. Mit dieser verdammten Vanessa. Der Toten, die verschwunden war, die vielleicht gar nicht tot war!
Er verdrehte die Augen, fing an zu zittern und wusste in der nächsten Minute nicht, was er unternehmen sollte. Bis das Handy in seiner linken Hosentasche seine Melodie zu dudeln begann.
Zuerst traute sich Ryan nicht, ranzugehen. Schließlich ging ihm das Geräusch auf die Nerven, und er hob ab.
»Ja?«
»Ich bin es. Hast du schon gehört?«
Trotz der Zitterstimme hatte er seinen Freund Tom Burwell erkannt. Und seine Worte bestätigten ihm, dass auch er bereits über die grauenvolle Tat Bescheid wusste.
»Barry ist tot«, flüsterte Ryan.
»Genau. Man hat ihm eine Spitzhacke in den Kopf geschlagen. Du glaubst gar nicht, wie schnell so eine Meldung hier rum ist. Eine Spitzhacke, verstehst du?«
»Ja, verdammt!«, schrie Ryan. »Du hast laut genug gesprochen. Aber was machen wir jetzt?«
»Ich bin schon fast auf eurem Hof. Warte noch ein paar Augenblicke, dann reden wir.«
»Gut.«
Das Handy verschwand wieder in der Hosentasche des jungen Mannes, der sich nicht mehr als Mensch vorkam und wirkte wie jemand, der von allem Menschlichen verlassen worden war. Er war nur noch eine leblose
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