1458 - Die Mordkapelle
nicht breit gemacht, aber dunkle Wolken deuteten an, wie es in einer halben Stunde aussehen würde.
Uns war klar, dass wir unsere Verabredung mit Sheila heute Abend nicht mehr würden einhalten können, und so hatte Bill Zuhause angerufen und Bescheid gesagt, dass wir später oder sogar erst morgen nach London zurückkehren würden.
Es war auch Wind aufgekommen, der eine Aprilkälte mitbrachte.
Aus zahlreichen Schornsteinen quoll grauer Rauch, der sofort zerflattert wurde.
Das Bild des Toten wollte uns nicht aus dem Kopf. Der Täter musste einen irrsinnigen Hass auf ihn gehabt haben, denn er hatte sehr hart und brutal zugeschlagen.
Ich dachte an die junge Frau auf dem Rad. Als lebende Tote traute ich ihr so etwas zu, aber was war der Grund, dass diese junge Frau nicht so normal gestorben war wie alle anderen? Und weshalb war sie überhaupt gestorben? Sie hatte ein völlig normales Leben geführt, aber dann musste etwas passiert sein, was alles auf den Kopf gestellt hatte.
In Wilma Lansburys Haus brannte Licht. Sie hatte unser Kommen bereits bemerkt und öffnete die Tür, kaum dass wir aus dem Wagen gestiegen waren.
»Sie haben es also schon gehört«, begrüßte sie uns.
Wir nickten.
»Das ist schrecklich.«
»Dürfen wir reinkommen?«, fragte Bill.
»Natürlich, entschuldigen Sie. Ich stehe noch immer unter Schock – wie viele andere hier im Ort auch.«
»Kannten Sie den Toten?«
Sie lachte und winkte ab. »Natürlich habe ich ihn gekannt. Hier kennt doch jeder jeden.«
»Sehr gut.« Wir nahmen die gleichen Plätze im Wohnzimmer ein wie beim ersten Mal. Trinken wollten wir diesmal nichts.
Auch Wilma ließ sich nieder. Sie drückte die Knie eng zusammen und flüsterte: »Haben Sie denn einen Verdacht, wer es getan haben könnte?«
»Nein.« Ich war ehrlich. »Wir haben dem Friedhof einen Besuch abgestattet.«
Plötzlich leuchteten ihre Augen auf. »Und haben Sie auch Vanessa gesehen?«
Ich nickte ihr zu. »Ja, das haben wir. Und sie haben sich wirklich nicht getäuscht, Mrs Lansbury. Sie hatte den Friedhof noch nicht verlassen, saß auf ihrem Bike und drehte ihre Runden. Dabei schien sie auch mit den Toten zu sprechen.«
»Ja, ja.« Sie nickte einige Male. »So ist es gewesen. So und nicht anders.«
»Und dann hatte sie Furcht vor uns, als wir sie stellen wollten«, sagte Bill, »und ist vor uns geflüchtet.«
Wilma Lansbury verzog die Lippen. »Wieso das?«
»Fragen Sie John Sinclair.«
Ich war damit beschäftigt, mein Kreuz hervorzuholen. Als es frei auf meiner Handfläche lag, bekam Wilma Lansbury große Augen.
»Du lieber Himmel, ist das wunderbar.«
»Ja, das das ist es. Aber es war nicht wunderbar für Vanessa. Als wir uns ihr näherten, da ergriff sie die Flucht, und ich denke, dass dieses Kreuz etwas damit zu tun hatte.«
»Wieso denn? Auf dem Friedhof gibt es doch auch Kreuze.«
»Schon. Nur kann man sie mit diesem nicht vergleichen. Ich will Ihnen nicht zu viel sagen, es würde Sie nur verwirren, aber wenn dieses Kreuz sich erwärmt, und das hat es getan, dann steckt mehr dahinter. Dann ist ein Geschöpf in der Nähe, das auf die andere Seite gehört.«
»Wie meinen Sie das denn?«
»Auf die Seite der Hölle, um es mal simpel auszudrücken.«
Mrs Lansbury hob ihre rechte Hand und presste sie gegen ihre Lippen. Sie konnte jetzt nichts mehr sagen. Erst als ihr Mund wieder frei lag, wiederholte sie das Wort.
»Die Hölle?«
»Ja. In diesem Fall bedeutet es, dass Vanessa zwar tot ist, aber trotzdem auf ihre Art und Weise lebt. Keiner von uns weiß, wie sie ums Leben gekommen ist. Wir werden mal davon ausgehen, dass es auf eine gewaltsame Weise passierte, und nun ist es möglich, dass sie als lebende Tote unterwegs ist, um sich an ihrem Mörder oder an ihren Mördern zu rächen. Einen hat sie schon erwischt.«
Wilma Lansbury sagte nichts. Meine Worte hatten sie geschockt.
Sie holte ein Taschentuch hervor und tupfte ihre Augen ab.
»Rache«, flüsterte sie dabei, »eine Tote, die sich rächen will und es vielleicht schon getan hat. Erzählen Sie mir da nur eine Geschichte, oder ist es die Wirklichkeit?«
»Letzteres trifft zu.«
»Aber so etwas kann es nicht geben. Das ist verrückt!«
»Sollte man meinen. Der Ermordete spricht allerdings Bände.«
»Ja, ja, ja…« Sie schaute ins Leere. »Da haben Sie wohl Recht, Mr Sinclair. Aber das will mir nicht in den Kopf. So etwas ist nicht zu glauben.«
»Da macht Ihnen niemand einen Vorwurf. Den meisten Menschen ergeht es so.
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