1458 - Die Mordkapelle
Statue, das war alles.
Mit leerem Blick stierte er vor sich hin und kämpfte gegen das Gefühl an, sich nicht mehr sicher zu sein. Das Dorf und auch der Hof seiner Eltern boten ihm keine Geborgenheit mehr. Sie waren nicht mehr die Kings, die sich alles herausnehmen konnten. Jemand hatte ihnen ihre Grenzen aufgezeigt und einen von ihnen gekillt.
»Aber wer?«, keuchte Ryan und erhielt Antwort, denn in diesem Augenblick betrat Tom den Schuppen. Unter der Kappe sah sein Gesicht totenblass aus.
Er trug die alte Jacke aus Kunstleder und darunter den braunen Pullover, der länger als die Jacke war. In seinen Augen flackerte es, und seine Hände zitterten.
Vor Ryan blieb er stehen und sagte nur einen Satz. »Ich kann es mir nicht erklären.«
»Ja, ich weiß.«
»Wer, Ryan, wer?«
Hurst hob den Blick. Er wollte seinem Freund in die Augen schauen.
»Vielleicht sie?«
»Du – du – meinst Vanessa?«
»Ja.«
»Aber sie ist doch tot!«
Ryan stierte Tom an. »Ist sie das wirklich, Tom? Ist sie wirklich tot? Glaubst du fest daran?«
»Wir haben doch gesehen, dass sie nicht mehr geatmet hat!«, keuchte Tom.
»Ja, haben wir.«
»Und?« Tom fing an zu grinsen. Es sah mehr als hölzern aus. »Was wollen wir denn noch?« Er schüttelte sich. »Tot ist tot…«
»Wohl doch nicht.«
»Wieso?« Bei der Frage sprühten kleine Speicheltropfen aus dem Mund des jungen Mannes.
»Es muss einen Mörder geben, verflucht!«
»Aber nicht diese Vanessa. Schau dir Munson an. Der ist viel kräftiger. Er kann sich wehren, auch wenn sie auf ihn mit einer verdammten Spitzhacke losgeht.«
Ryan war es leid. Er sprang nach vorn und packte seinen Freund hart an. Mit beiden Händen umkrallte er die Revers der Kunstlederjacke. Er schüttelte Tom durch und brüllte ihm dabei ins Gesicht.
»Verdammt noch mal, die Leiche war plötzlich weg! Verschwunden! Einfach so. Begreifst du das nicht?«
»Hör auf, du Arsch!«
»Nein, nein, nein! Ich höre nicht auf.« Ryan war in Zorn geraten und wuchtete Tom Burwell zu Boden. »Ich höre nicht auf, verfluchte Scheiße. Da ist etwas passiert, das wir nicht fassen können. Begreifst du das nicht?«
Auf dem Hintern sitzend, kroch Burwell zurück. »Ich weiß das doch alles. Nur kann ich es mir nicht vorstellen.«
»Es ist aber so!«
Tom raffte sich wieder auf. »Und was sollen wir jetzt machen? Hast du eine Idee?«
»Nein, die habe ich nicht.« Ryan lehnte wieder am Holzstapel. »Ich habe keine Idee, aber ich kann mir was ausrechnen.« Er stierte Tom an. »Zuerst hat es Barry erwischt. Jetzt sind noch zwei übrig. Wir können raten, wen es als Nächsten trifft. Dich oder mich. Wer immer dieser verdammte Killer ist, er kennt keine Gnade. Er schlägt brutal zu. Er macht auch uns beide nieder.«
Tom schwieg. Er stand da wie zur Salzsäule erstarrt. Seine Augen waren feucht geworden. »Dann müssen wir eben besser sein als der Killer. Oder flüchten.«
»Wohin?«
»Keine Ahnung.«
Beide grübelten, bis Ryan den Kopf schüttelte. Dann sagte er mit leiser Stimme: »Nein, ich werde nicht flüchten. Ich werde nicht von hier abhauen. Das ist nicht meine Art. Wir beide wissen, dass ein Killer unterwegs ist. Und weil wir das wissen, können wir uns auf ihn einstellen. Er wird uns nicht überraschen, wir werden vorbereitet sein.«
Tom hatte alles gehört, aber nicht richtig begriffen. »Wie willst du das denn machen?«
»Ich hole mir eine Waffe!«
»Eine Kanone?«
»Nein, die habe ich nicht. Aber ein Messer wird auch reichen.«
»Willst du hier auf den Mörder warten?«
»Auch nicht. Wir suchen ihn. Und wir bleiben zusammen. Bevor er uns findet, haben wir ihn. Er hat Barry gekillt. Die Aufregung hier ist groß.«
»Ja, ich habe sogar die Bullen gesehen.«
»Sagte ich doch. Da wird sie sich zurückhalten.«
»Wieso sie?«
»Weil Vanessa für mich die Mörderin ist. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht.«
Tom Burwell hielt den Mund. Er wollte nicht mehr wiederholen, dass sie tot war, weil es keinen Sinn gehabt hätte. Aber irgendwie stimmte es schon. Es gab nur eine Person, die ein Motiv hatte, drei junge Männer ins Jenseits zu schicken.
Eben Vanessa Blair…
***
Bill und ich hatten überlegt, noch mal zu den Blairs zu fahren, aber die hätten uns auch nicht mehr sagen können. Keiner von uns glaubte, dass Vanessa zu ihnen zurückkehren würde. Vielleicht fanden wir bei Wilma Lansbury einen Hinweis.
Der Tag war mittlerweile recht weit fortgeschritten. Zwar hatte sich die Dämmerung noch
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