Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
1458 - Die Mordkapelle

1458 - Die Mordkapelle

Titel: 1458 - Die Mordkapelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
Vom Netzwerk:
dass die Person auf einem Fahrrad saß.
    Sie ging nicht über den Weg, sie fuhr ihn.
    Wilma Lansbury erkannte die Radfahrerin plötzlich.
    Sie flüsterte den Namen und fügte hinzu: »Was machst du denn hier auf dem Friedhof?«
    Vanessa Blair gehörte nicht zu den Dorfbewohnern. Sie war bei Onkel und Tante zu Besuch und würde auch wieder fahren. Zudem lag niemand auf dem Friedhof, den sie hätte besuchen können. Es sei denn die Eltern ihrer Verwandten, doch die waren schon lange tot.
    Noch etwas fiel der alten Frau auf. Diese Vanessa Blair verhielt sich äußerst seltsam. Sie fuhr zwar recht langsam über den schmalen Weg, aber sie drehte dabei ständig den Kopf, um sich die Gräber rechts und links anzuschauen. Dabei machte sie einen sehr angespannten Eindruck, und es schien so, als ob sie mit jemandem sprechen würde. Aber hier lagen nur Tote, und die gaben ihr bestimmt keine Antwort.
    Das wirkte auf Wilma Lansbury alles sehr ungewöhnlich und fast schon schaurig. Über ihren Rücken rann eine Gänsehaut. So etwas hatte sie noch nie erlebt.
    Ihre Neugierde war größer als das ungewöhnliche Gefühl. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, um den Weg der jungen Frau im Jogginganzug weiter zu verfolgen.
    Sie hatte sehr bald das Ende des Weges erreicht. Wenn sie jetzt die Linkskurve fuhr und dann noch einmal links, dann würde sie den Weg erreichen, auf dem Wilma Lansbury stand.
    Tat sie es? Tat sie es nicht?
    Sie tat es und wäre fast gestürzt, weil sie so langsam gefahren war.
    Die Frau am Grab schüttelte den Kopf. Sie begriff das Verhalten der Jüngeren einfach nicht. Es ging ihr gegen den Strich. Auf einem Friedhof ein solches Benehmen zu zeigen war schon ungewöhnlich.
    Dafür musste es allerdings einen Grund geben, und Wilma war gespannt, ob sie ihn erfuhr, falls Vanessa vor ihr anhielt.
    Näher kam sie jedenfalls.
    Mal drehte sie den Kopf nach rechts, dann wieder nach links, und Wilma glaubte sogar ihre Stimme zu hören, deren Klang der Wind auf sie zuwehte.
    Aber hier konnte keiner Antwort geben.
    Je näher Vanessa kam, umso unverständlicher und unheimlicher kam ihr das Verhalten des Mädchens vor. Allmählich kroch die Furcht in ihr hoch. Sie überlegte schon, was sie tun würde, wenn Vanessa vor ihr stoppte.
    Nichts – oder…
    Drei Gräber musste sie noch passieren, dann hatte sie die einsame Besucherin erreicht.
    »Euch geht es gut, nicht?«
    Wilma schluckte, als sie die Stimme hörte.
    »Du musst noch büßen, das weiß ich.«
    Dann glitt der Blick der Radlerin zur anderen Seite.
    »Schade, du bist viel zu früh verstorben, aber jeder hat sein Schicksal zu tragen.«
    Sie fuhr weiter.
    Jetzt musste ihr Blick wieder nach rechts zu einem anderen Grab wandern.
    In diesem Fall nicht mehr, denn Vanessa hob den Kopf an und schien Wilma Lansbury erst jetzt zu bemerken.
    Sie bremste. Beide Füße stellte sie auf die Erde und schaute der alten Frau geradewegs ins Gesicht.
    »Du bist nicht tot!«
    Wilma schluckte. Mit dieser Anrede hatte sie nicht gerechnet, und erst nach einer Weile konnte sie sprechen.
    »Nein, ich bin nicht tot.«
    »Das sehe ich, das spüre ich.«
    »Und was ist mit dir?«
    »Ich bin tot.«
    ***
    Es folgte ein Moment, an dem die Zeit für Wilma Lansbury nicht mehr vorhanden zu sein schien. Sie war nicht mehr in der Lage, etwas zu sagen, obwohl sie wirklich nicht auf den Mund gefallen war.
    Zugleich schien jemand einen Kübel Eiswasser über sie gegossen zu haben. Die Antwort huschte noch einige Male durch ihren Kopf, und als sie in das Gesicht der jungen Frau schaute, da sah sie sogar einen gewissen Ausdruck der Fröhlichkeit.
    Wilma hatte eisgraue Haare. Wäre das nicht so gewesen, hätten sie sich jetzt verfärbt. Grauen packte sie, obwohl sie immer noch nicht glauben konnte, was sie gehört hatte.
    »Was bist du?«
    »Tot.«
    Eine schlichte und gradlinige Antwort, der eigentlich nichts hinzuzufügen war, aber von einem lebenden Menschen nicht akzeptiert werden konnte.
    Die ist verrückt!, schoss es Wilma durch den Kopf. Die kann nur verrückt sein. Wer behauptet denn von sich, tot zu sein? So etwas gibt es einfach nicht.
    Darüber konnte Wilma nicht mal lachen, denn als Scherz sah sie es auf keinen Fall an.
    »Du bist tot?«
    »Ja, ich bin tot.«
    »Auch glücklich?«
    »Ich glaube schon.«
    Wilma Lansbury hätte am liebsten die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen. Was sie da hörte, war einfach unmöglich. Eine glückliche Tote, die trotzdem lebte und auch sprechen konnte und die

Weitere Kostenlose Bücher