146 - Der Horror-Butler
Das muß er sich ansehen und anhören. Ich muß wissen, ob das,
was ich höre und sehe, hier auch wirklich geschieht und nicht nur Einbildung
ist. Der Gedanke, daß sie möglicherweise durch das Erlebnis oben im Atelier
einen Schock davongetragen und ihre Sinne etwas abbekommen hatten, drängte sich
auf und wollte nicht so schnell weichen.
Diana blickte sich kurz in dem kleinen,
gemütlich eingerichteten Musikzimmer um und wollte dann gehen, um den Butler zu
holen.
Aber ein Ereignis hielt sie zurück.
Im Raum bewegte sich noch etwas: Das Bild,
das genau ihr gegenüber an der Wand hing!
Es zeigte eine Musikszene aus dem
Mittelalter. Um einen blaß aussehenden jungen Mann, der am Spinett saß, waren
mehrere Personen versammelt, die versonnen seinem Spiel lauschten.
Schwere Vorhänge wallten hinter den Zuhörern
und bedeckten die Deckenbögen, die sich tief herabzogen.
Das Bild war zwei Meter breit und drei Meter
hoch. Es nahm eine Wand voll ein.
Diana kannte jedes Detail auf diesem Bild.
Wie alle Gemälde hier im Schloß, hatte sie auch diese Darstellung lange und
eingehend studiert und einzelne Szenen kopiert, weil sie sie nachvollziehen
wollte.
Das Bild war erst vor fünfundzwanzig Jahren
bei Renovierungsarbeiten durch Zufall wiederentdeckt worden. Als man ein
anderes abhängte, das genau die gleiche Größe hatte, fand man das Wandgemälde
mit der Musikszene.
Ein Restaurator versah das total verblichene
Bild mit neuen Farben, und seither war dieses Wandgemälde eine Augenweide im
Musikzimmer. Jerome Lord of Everthon und Lady Constance waren der Ansicht, daß
die Darstellung sogar vor langer Zeit direkt hier im Zimmer gemacht worden war.
Das würde bedeuten, daß eine Wand zu einem späteren Zeitpunkt zugemauert worden
war, daß es davor jene gewölbten Durchgänge gab, die das Zimmer unterteilten.
Da vom Schlößchen nicht mehr alle Pläne vorhanden waren, konnte man diese
Vermutung nicht nachprüfen, und so war es dabei geblieben.
Und nun erlebte Diana Wilburn innerhalb von
zehn Minuten eine weitere Überraschung, die ihren Verstand auf eine harte Probe
stellte.
Das Bild wurde von unsichtbaren Händen zur
Seite geschoben. Ein Knirschen war zu hören, als ob zwei Mühlensteine
gegeneinander reiben würden.
Eine geheime Tür!
Diana Wilburn verstand die Welt nicht mehr.
Da ging sie nun seit zwei Jahren im Schloß ein und aus, glaubte alles darüber
zu wissen und machte nun von einer Minute zur anderen vollkommen neue und vor
allem seltsame Erfahrungen.
Die Wand glitt mahlend nach links und gab
einen hohen, dunklen Durchlaß frei.
Wie in Trance ging Diana Wilburn darauf zu.
»Ist da jemand? Hallo ?« fragte sie halblaut.
In der Mauer neben dem zurückgewichenen Bild
gähnte ein schwarzer Schacht. Die Stimme der Rufenden hallte in die Dunkelheit.
Als Echo vernahm sie sie wieder. Dann verebbte der Ruf, und Totenstille trat
wieder ein.
Diana Wilburn inspizierte das Bild. Es war
genau in die Wand eingepaßt, und die Fuge war so fein, daß sie selbst bei den
Restaurationsarbeiten nicht festgestellt wurde.
Feiner Staub rieselte herab. Sie achtete
nicht darauf.
Der Gedanke, den Butler zu rufen und ihm das
alles hier zu zeigen, war einer unstillbaren Neugier gewichen.
Die Frau eilte zum Flügel zurück, dessen
Spiel unvermindert weiterging. Sie griff nach dem Kerzenständer, kehrte zur Wandöffnung
zurück und leuchtete hinein.
Grobgemauerte Wände lagen vor ihr. Der Gang
war verhältnismäßig breit, der Durchlaß hoch genug, so daß sie. bequem
hineingehen konnte.
Im Gegensatz zu dem Parkettboden war der
Untergrund rauh und eiskalt. Die Kälte kroch im Nu durch die dünnen Nylons.
Aber Diana Wilburn ignorierte sie und lief nicht zurück, um ihre Schuhe zu
holen. Neugier und Entdeckerlust hatten sie gepackt und ließen sie nicht mehr
los.
Im Hintergrund erklang noch immer
Mozart-Musik und untermalte die seltsam gedrückte Stimmung auf eigentümliche
Weise heiter.
Diana ging in die Maueröffnung. Der
Westflügel des Schloßgebäudes war in sich verschachtelt. Hinter den normalen
Wänden und Abtrennungen befanden sich weitere, und hinter diesen Wänden begann eine
neue, bisher unbekannte Welt.
Der Stollen wurde breiter, Mauervorsprünge
ragten seitlich heraus, und emporragende Wände und Durchlässe bildeten
praktisch Kammern und Räume jenseits der bekannten Mauern. Hier gab’s nur keine
Fenster, aber - Türen . ..
Sie waren alt und klobig, und Diana drängte
sich der Gedanke auf, daß diese Räume
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