1460 - Lockruf des Trolls
verhindern, dass sie den Tümpel wieder verlassen konnte. Sie wunderte sich sowieso, dass er sich noch keine Waffe besorgt hatte, um damit auf ihren Kopf zu schlagen. Ein starker Ast wäre geeignet gewesen.
»Hau ab, verdammt!«
Ob der Troll sie verstanden hatte, wusste Justine nicht. Sie wartete auf eine Bewegung, und tatsächlich machte er sich einen Spaß daraus, nach ihr zu schnappen. Er hütete sich aber davor, zu nahe an sie heranzukommen. Seine Angriffe waren nicht mehr als Finten.
Die Blutsaugerin hätte ihn packen können. Davon nahm sie jedoch Abstand, denn es hätte eine zu heftige Bewegung vorausgesetzt, und die hätte ihr schaden können.
So musste sie sich etwas anderes einfallen lassen, und sie wusste auch schon, was sie tun würde.
Das Gewehr befand sich noch außerhalb des Sumpfes. Der Troll schien es gar nicht zur Kenntnis zu nehmen. Es war für ihn nichts anderes als ein Stock.
Er sollte sich irren!
Justine Cavallo wartete auf eine günstige Gelegenheit. Der Troll musste nur aufhören, zu trampeln und sich hektisch zu bewegen.
Sie wollte ihn mit einem Kopfschuss niederstrecken.
Die Chance war da!
Justine drückte ab.
Die Detonation des Schusses hörte sich an wie der Knall einer Peitsche, die irgendwo im Wald geschwungen wurde. Aber eine Peitsche verschießt keine Kugeln. Das Gewehr schon. Und dessen Geschoss war mitten in die breite Stirn des Trolls gedrungen und hatte ein Loch mit gezackten Rändern hinterlassen.
Wieder quoll die grünliche Brühe hervor, und zugleich ertönte ein Quatschen, als hätte jemand auf eine Gummiente getreten.
Der Troll flog zurück, warf dabei seine kurzen Arme in die Höhe und war nicht in der Lage, auf den Beinen zu bleiben. Er landete auf dem Rücken, glitt noch etwas weiter und blieb schließlich liegen, ohne noch einmal zu zucken.
Er war vernichtet!
Ein hartes Grinsen umspielte für wenige Sekunden die Lippen der Blutsaugerin. Das Gewehr hatte sie eigentlich nur zum Spaß mitgenommen. Jetzt war sie froh darüber, es bei sich zu haben. Wäre sie ein Mensch gewesen, hätte sie sicherlich aufgeatmet, so blieb es beim Grinsen. Nur dachte sie menschlich weiter, denn an erster Stelle stand jetzt die Befreiung aus dem verdammten Sumpfloch.
Ihr Blick fiel zum Rand des Tümpels. Er befand sich nicht mal weit von ihr entfernt, aber er war zu weit, um nach ihm greifen zu können. Wenn sie sich nach vorn beugte und den Arm ausstreckte, war es ihr nicht möglich, sich in der weichen Masse festzuklammern.
An den Seiten und hinter ihr war die Entfernung gleich. Der Zufall hatte sie genau in die Mitte des Sumpflochs getrieben. Zwar konnte sie die Beine bewegen, doch das brachte sie nicht von der Stelle. Die Masse war weich und gab nach, und Justine stellte fest, dass sie bereits bis in Gürtelhöhe eingesackt war. Und es kam ihr vor, als würde der Mantel sie noch schneller in die Tiefe zerren.
Zum ersten Mal kam ihr ein schlimmer Gedanke. Es war möglich, dass sie für immer und alle Zeiten in diesem verdammten Sumpfloch Verschwand. Ein nicht eben rühmliches Ende für eine Vampirin wie Justine Cavallo…
***
Es nützte nichts, wenn ich mich mit meinem eigenen Ärger beschäftigte oder der Wut, die in mir kochte. Justine Cavallo hatte mich geleimt, und ich hätte damit eigentlich rechnen müssen, denn sie pochte zwar auf eine gewisse Partnerschaft, nur gehörte sie nicht zu den Personen, die auf andere Rücksicht nahmen.
Ich stand allein vor dem Haus. Für einen Moment dachte ich daran, nach ihr zu rufen, doch das brachte bestimmt nichts ein. Auch wenn sie meine Stimme hörte, würde sie weiterhin ihren eigenen Weg gehen. Da besaß sie so etwas wie einen vampirischen Ehrgeiz.
Im Haus würde sich Peter Login um Judith Hill kümmern. Das sah ich schon mal als positiv an. Was diese Frau jetzt brauchte, war Trost und wenn möglich eine gewisse Ablenkung, damit sie nicht immer an die Entführung ihres Kindes erinnert wurde.
Ich hatte ihr versprochen, es zurückzuholen. Im Moment allerdings war ich ratlos. Es gab keinen Hinweis auf den Jungen und auch keinen auf Justine Cavallo, denn ich ging davon aus, dass die Vampirin das gleiche Ziel verfolgte wie ich.
Ich ging einige Schritte vom Haus weg und schaute den Weg hinab, der zur Straße führte.
Natürlich war er leer. Es gab für mich nichts zu sehen. Keine Spuren, keine Bewegungen. Typisch. Es war Zeit genug vergangen, und Justine hatte einen genügend großen Vorsprung. Wollte auch sie den Jungen
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