1468 - Tanz im Totenreich
klopfte ihr Herz schneller. Sie schaute auf die Tür und fragte sich, ob sie schon vor Gwens Besuch geschlossen gewesen war. Sie konnte sich daran nicht erinnern, was auch mit der täglichen Routine zusammenhing, denn wer schaute schon jedes Mal nach, ob eine Tür geschlossen war oder nicht.
Jedenfalls konnte sie nicht in das dahinter liegende Büro schauen, und das ärgerte sie. Bei Glenda war der Punkt erreicht, an dem sie nicht mehr lange grübeln, sondern Gewissheit haben wollte, und die bekam sie nur, wenn sie etwas unternahm.
In ihrem Fall war das der Gang zur Tür, was wirklich kein Problem war. Ein paar Schritte und dann…
Sie blieb vor der Tür stehen, um zu lauschen. Dabei war sie froh, nicht beobachtet zu werden. Sie hätte sich ziemlich lächerlich gemacht, wenn plötzlich ein Bekannter erschienen wäre.
Nicht mehr warten – handeln!
Glenda riss mit einer recht heftigen Bewegung die Tür auf, schaute in das Büro und dabei direkt auf John Sinclairs Schreibtischstuhl, der hätte leer sein müssen.
Er war es nicht.
Auf ihm saß die Tote!
***
Glendas Gesichtsausdruck wechselte ständig, weil sie irgendwelche Grimassen schnitt und dabei noch versuchte, Luft zu holen.
Da war die angeblich Tote, die jedoch putzmunter zu sein schien.
Sie hatte es sich auf John Sinclairs Schreibtischstuhl bequem gemacht. Die Beine locker übereinander geschlagen, saß sie da und wippte sogar mit einem Fuß auf und ab.
Feinstofflich?
Einige Male beschäftigte sich Glenda mit diesem Begriff und konnte bei dieser Marietta nichts Feinstoffliches erkennen. Sie sah aus wie eine normale junge Frau, die dem Teenageralter soeben entwachsen war. Das helle Kleid saß perfekt, und Glenda erinnerte sich an die Fotos von der Beerdigung. Für einen Tag war das vor einigen Wochen hier in London ein Thema gewesen, auf das sich die Gazetten gestürzt hatten. So war auch gezeigt worden, in welch einem Outfit die junge Frau in den Sarg gelegt worden war.
In ihrem Lieblingstanzkleid, das sie auch jetzt trug. Es war fleckenrein, wie Glenda feststellte, und um die Knie herum bauschte es sich zu einem Oval auf.
Nun gehörte Glenda nicht eben zu den Menschen, die der Schreck oder Schock länger im Griff behalten konnte. Sie hatte sich rasch gefangen und tat so, als würde sie Marietta nicht kennen.
»Wer sind Sie? Was suchen Sie hier? Wie sind Sie überhaupt hier hereingekommen?«
»Sehr viele Fragen«, antwortete Marietta.
»Nein, nur drei.«
»Ich heiße Marietta Abel. Ich suche John Sinclair und bin einfach in sein Büro gegangen.«
»Aha. Durch diese Tür?«
Die Tote wiegte den Kopf. »Nicht so direkt, aber ich habe diesen Weg schon genommen, das ist wahr.«
»Wie kommt es dann, dass ich Sie nicht gesehen habe?« wollte Glenda wissen.
»Das ist dein Pech.« Marietta reckte ihr Kinn vor. »Wer bist du eigentlich, dass du derartige Fragen stellst?«
»Ich gehöre zufällig zu dem kleinen Team.«
»Dann musst du Glenda Perkins sein.« Nach dieser Antwort strahlte Marietta fast.
»Gratuliere, Sie kennen sich aus.«
»Es geht. Aber wo steckt John Sinclair? Ich muss ihn wirklich dringend sprechen.«
»Er wird bald wieder zurück sein.«
Mit dieser Aussage gab sich Marietta nicht zufrieden. »Bitte, es ist wichtig. Ich muss schnell mit ihm reden. Am besten sagst du mir, wo er sich aufhält, dann gehe ich zu ihm.«
»Er kann jetzt nicht gestört werden. Begreifen Sie das doch, verflixt. John Sinclair wird bald wieder hier sein, und so lange können Sie in meinem Vorzimmer auf ihn warten.«
Marietta sagte nichts. Sie schaute Glenda nur unverwandt an. Und noch immer suchte Glenda nach etwas, das auf eine Feinstofflichkeit der jungen Frau hingewiesen hätte.
Sie sah nichts. Kein Teil ihres Körpers war durchscheinend. Einzig die Blässe fiel auf, und sie war auch in der Fülle der Haare zu erkennen. Sie schienen ein wenig ausgebleicht.
»Wir dürfen eigentlich keine Zeit verschwenden.«
»Ist es denn so wichtig?«
»Ja.«
»Und worum geht es?«
»Wenn ich sage, dass es um Leben und Tod geht, dann ist das beileibe nicht übertrieben.«
Glenda Perkins focht einen inneren Kampf mit sich aus. Sie atmete einige Male tief durch und versuchte dann, im Gesicht der Besucherin zu lesen, ob sie ihr vielleicht eine Lüge aufgetischt hatte. Es gab keinen Argwohn in den sehr blassen Augen der Besucherin, sie machte zudem auch keinen feindlichen Eindruck, und so beschloss Glenda, ihr entgegenzukommen.
»Okay, Marietta, Sie können in
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