1468 - Tanz im Totenreich
Schritt hörte ihn der Fremde.
Er drehte sich um.
Tom ging noch einen Schritt nach vorn und blieb abrupt stehen, denn er kam sich vor wie in einen Albtraum hineingestoßen.
Vor ihm stand Mariettas Mörder!
***
Es musste Einbildung sein, aber es war keine. Das Licht fiel durch ein Fenster, das sich hier oben am Ende der Treppe befand, und es erreichte besonders den Fremden, der kein Fremder war.
Tom Abel stand da und wusste nicht, wie er sich verhalten sollte und was überhaupt Sache war. Er glaubte, dass ihm seine Nerven einen Streich spielten, weil er sich zu sehr mit der Erinnerung beschäftigt hatte, die seine tote Schwester betraf und letztendlich auch das Haus hier.
Tom hatte sich nach der grauenhaften Tat das Bild des Mörders sehr genau eingeprägt. Jede Einzelheit hatte sich in seiner Erinnerung regelrecht eingebrannt. Er hatte vorgehabt, dieses Schwein mit den eigenen Händen zu erwürgen, aber die Männer vom alarmierten Einsatzkommando waren ihm zuvorgekommen.
Das musste er einfach sein, denn einen Zwillingsbruder hatte Eric Walcott nicht.
Das schüttere dunkle Haar, die Brille mit den großen Gläsern, die starren Augen, der schmale Mund, die hohe Stirn mit den Pusteln, genau so hatte er ausgesehen.
Er trug auch noch die gleiche Kleidung. Die dünne Jacke aus Kunstleder, die schwarze Hose und den dünnen braunen Pullover mit den Flecken auf der Brust.
Eric Walcott war keinesfalls der Prototyp eines Killers. Nein, so stellte man ihn sich nicht vor, aber er hatte es getan und seinen grausamen Amoklauf durchgezogen.
Schießen – verletzen – töten…
Ohne Motiv. Einfach so war er in die Tanzschule eingedrungen, um Menschen zu töten. Er hatte sich eine Maschinenpistole besorgt und gnadenlos um sich geschossen. Zum Glück hatten viele der Menschen noch fliehen können, aber das Grauen war trotzdem zurückgeblieben.
Eine Waffe sah Tom nicht an ihm. Er stand einfach auf der ersten Treppenstufe, die Arme hingen zu beiden Seiten nach unten. Hin und wieder entstand ein Reflex auf den Gläsern der Brille, als wollte er einen besonderen Gruß an den Beobachter schicken.
Tom Abel konnte beim besten Willen nicht erklären, wie lange er auf der Stelle gestanden hatte, ohne sich zu bewegen. Das Gefühl für Zeit war ihm verloren gegangen, aber er sah die Bestie, und die sah ihn.
Tom zwinkerte mit den Augen. Er dachte daran, das Bild wegzuwischen, was ihm nicht möglich war, denn die Gestalt war keine Halluzination, sondern Wirklichkeit.
Endlich fand Tom seine Sprache wieder.
»Wer bist du?« stieß er zischend hervor.
Er erhielt keine Antwort.
»Okay, dann eben anders.« Plötzlich stieg die Wut in ihm hoch und die war wie ein Motor, der ihn vorantrieb. Er dachte an nichts anderes mehr, als die Gestalt zu packen und ihr mit den eigenen Händen den Hals umzudrehen.
Der andere tat nichts. Er blieb stehen, als wartete er darauf, überrannt zu werden.
Tom schlug mit der rechten Faust zu und – drosch ins Leere.
Er hatte die verdammte Gestalt zur Seite fegen wollen, doch das war ihm nicht gelungen. Stattdessen hatte er Mühe, seinen eigenen Schwung abzufangen, und er dachte noch daran, dass er bei der Berührung etwas Eiskaltes gespürt hatte, dann wurde er von dem eigenen Schwung so weit nach vorn getragen, dass er gegen die Wand prallte, die ersten Stufen der Treppe hinabstolperte und sich schließlich nur mit großer Mühe am Geländer festhalten konnte, wobei das Gewicht des eigenen Körpers ihm den Arm in die Länge zog.
Er blieb stehen, schaute zurück und wollte die Stufen gleich wieder hoch rennen.
Der Kerl war weg!
Einfach verschwunden. Er war nur nicht die Treppe hinabgestiegen und musste einen anderen Weg gefunden haben. Wahrscheinlich den durch den Flur. Aber auch dort gab es keine Möglichkeit zur Flucht, es sei denn, er verbarg sich in einem der Zimmer.
Daran glaubte Tom Abel nicht. Trotz seiner miesen Lage hätte er zumindest etwas merken oder hören müssen. Aber da war nichts gewesen. Keine Fluchtgeräusche, keine Echos, die gedröhnt hätten, er hatte praktisch nur sich gehört und keine andere Person.
Auf der dritten Stufe von oben blieb er stehen. Tom hörte sich selbst schwer atmen. In seiner Brust spürte er einen Druck, als läge dort ein Gewicht.
Was war nur los? In welch eine Sache war er hineingeraten? Er wollte einfach nicht daran glauben, einen Toten als lebendigen Menschen vor sich gesehen zu haben, aber gab es eine andere Erklärung?
Und wie sah sie aus?
Keine
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