1468 - Tanz im Totenreich
Gestrüpp umgab. Ansonsten war die Haarfarbe gleich, die Gesichtszüge ebenfalls, und auch die Farbe der Augen unterschied sich nicht.
Als Kinder hatten sie immer die gleiche Kleidung getragen und durch ihr Aussehen im Ort viel durcheinander gebracht, doch im Geschäftsleben konnte man sich keine Tricks leisten. Da wollten die Kunden wissen, mit wem sie es zu tun hatten.
Tommy schaute auf die Uhr. »Wann treffen die beiden hier ein?«
»Das weiß ich nicht.«
»Hat die Messe schon angefangen?«
»Ich denke schon.«
Die Brüder überlegten, was sie in der Zwischenzeit tun sollten. Da sie lange nicht mehr in ihrem Elternhaus gewesen waren, entschloss sich Tom zu einer Besichtigungstour.
»Ich schaue mich mal oben um, ob sich etwas verändert hat. Kommst du mit?«
Brian schüttelte den Kopf. Er hatte die schmale Tür zur Terrasse hin geöffnet. »Nein, ich bleibe hier.« Er grinste seinen Bruder an.
»Mal probieren, ob die Kirschen noch immer so schmecken wie früher.«
»Bestimmt.«
»Ich probiere es aus.«
»Bis gleich dann.« Tom machte sich auf den Weg. Er interessierte sich besonders für sein Zimmer, das in der ersten Etage lag. Darüber befand sich noch ein Boden, auf dem man allerdings nur in der Mitte aufrecht stehen konnte. Um ihn zu erreichen, musste eine Luke geöffnet werden, an der eine Leiter hing.
Es war noch immer die gleiche Treppe wie damals. Sogar die Geräusche hatten sich nicht verändert, als Tom hochstieg. Er erinnerte sich an alles sehr genau, und um seine Lippen hatte sich ein etwas verlorenes Lächeln gelegt. Jetzt war er der Ansicht, dass die Zeit im Elternhaus zu schnell vergangen war. Aber damals hatte man nicht schnell genug erwachsen werden können.
Tom erreichte den ersten Stock. Es war alles sehr sauber. Darauf hatte die Mutter stets großen Wert gelegt, trotz der drei Kinder.
Tom freute sich darüber, dass die Eltern noch lebten und fit waren, aber sie litten noch immer schwer unter dem Verlust ihrer Tochter.
Das würde auch noch eine Weile so bleiben.
Sein Zimmer lag in Indien, wie er als Junge immer gesagt hatte.
Am Ende des Ganges. Dieser Vergleich fiel ihm ein, und er musste lächeln, was allerdings sehr traurig ausfiel.
Er glaubte nicht daran, dass die Tür abgeschlossen war, und hatte sich nicht geirrt. Er stieß sie auf und hatte das Gefühl, wieder den alten Geruch einzuatmen.
Es gab den Schreibtisch, das Bett war bezogen, die Poster an den Wänden, und sogar die alte Glotze stand noch auf dem kleinen Tisch. In den letzten Jahren schien die Zeit hier wirklich stehen geblieben zu sein. Dafür hatten die Eltern gesorgt.
Er trat ein.
Er musste schlucken, weil er wusste, wie oft seine Schwester hier bei ihm gesessen hatte. Die Zwillinge waren für sie stets die großen Brüder und Beschützer gewesen. Das hatte sich bis vor einem halben Jahr nicht verändert. Nur als es darauf angekommen war, die Schwester zu beschützen, hatten Tom und Brian ihr nicht helfen können, und darunter litten sie jetzt noch. Gerade hierin seinem ehemaligen Zimmer wurden die Erinnerungen in Tom übermächtig, und er musste hart schlucken, wobei er auch einige Male die Nase hoch zog.
Was hätte er alles darum gegeben, seine Schwester wieder zurück zu bekommen!
Das war nicht mehr möglich. Aber irgendwann würden sie sich vielleicht in einer anderen Welt wieder treffen.
Tom wollte nicht länger in seinem Kinderzimmer bleiben. Die Erinnerungen waren zu heftig. Er ging wieder zurück, schloss die Tür und drehte sich nach links.
Der Flur lag wieder vor ihm. Am anderen Ende begann die Treppe, die Tom noch nicht sah, da er seinen Blick gesenkt hielt. Wenig später hob er den Kopf wieder an, schaute nach vorn und sah an der Treppe jemanden stehen.
Tom erkannte nur, dass es ein Mann war und dass ihm dieser Mann den Rücken zudrehte.
Aber es war nicht Brian!
Ein ungutes Gefühl beschlich Tom. Er spürte ein leichtes Kribbeln im Bauch, seine Knie wurden weich, und eine Gänsehaut rann über seine Arme hinweg.
Wer war die Gestalt? Wo kam sie her?
Ein Fremder!, schoss es ihm durch den Kopf. Doch wie war er hierher ins Haus gekommen?
Während er darüber nachdachte, war er auf der Stelle stehen geblieben. Seine Gedanken rasten. Er wollte wissen, mit wem er es zu tun hatte, aber irgendetwas in seinem Innern hielt ihn davon ab, den Mann anzusprechen. Dafür überwand er seine Starre und ging auf ihn zu.
Er wollte leise gehen, was ihm jedoch nicht gelang. Bereits nach dem zweiten
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