1468 - Tanz im Totenreich
Antworten auf die Fragen. Aber Tom wollte weitermachen.
Nur nicht ins Bockshorn jagen lassen. Hier gab es einiges aufzuklären, was er nicht allein durchziehen wollte. Es gab unten noch einen Bruder, der auf ihn wartete.
Tom fragte sich nur, wie Brian reagieren würde, wenn er ihm die Geschichte erzählte.
Er würde ihn auslachen und…
Egal, hier ging es um Dinge, die nicht mehr normal waren. Als hätte sich das normale Haus in ein Spukhaus verwandelt. Schnell lief er die restlichen Stufen der Treppe hinab und rief bereits nach seinem Bruder, als er sich im Flur befand.
Nur eine Antwort erhielt er nicht.
»He, Brian, das ist wirklich ein Hammer! Du glaubst nicht, welch ein Gespenst ich hier im Haus gesehen habe!« Tom verstummte auf der Türschwelle, weil er die offene Terrassentür gesehen hatte.
Wahrscheinlich hielt sich Brian draußen auf der Wiese auf.
Nein, das war nicht der Fall, denn durch das große Fenster konnte er das Gelände überblicken.
Tom lief ins Wohnzimmer und richtete den Blick nach links, wo die Sitzecke mit der Couch und den beiden Sesseln stand.
Über den wulstigen Rand am Ende der Couch ragten zwei Füße hinweg. Die Schuhe gehörten Brian. Der faule Kerl hatte sich hingelegt, um ein Schläfchen zu halten.
»He, wie kannst du jetzt nur…«
Tom war vorgelaufen. Er schaute über die Füße seines Bruders hinweg bis zum Kopf hin.
Brian bewegte sich nicht.
Brian würde sich nie mehr bewegen, denn in seiner Kehle steckte bis zum Heft eingedrungen die Klinge eines Messers…
***
Für Tom Abel war es der zweite Schock innerhalb kürzester Zeit.
Dieser aber hatte ihn härter getroffen. Und wieder erlebte er das Gleiche wie beim Tod seiner Schwester. Die innerlichen Schreie, die von der Pein zeugten, die ihn erfasst hatte.
Schreien konnte er nicht. Was da aus seinem Mund drang, waren ächzende Laute. Einen Moment später hatte er das Gefühl, auf den Planken eines schwankenden Boots zu stehen, denn erst jetzt wurde ihm bewusst, was dieses grausame Bild bedeutete.
Er hatte Brian verloren. Jemand hatte ihn ermordet, und das auf eine grausame Art und Weise. Eric Walcott. Tom hatte ihn oben im Flur gesehen. Er hatte sich nur nicht vorstellen können, dass es wirklich Eric Walcott war, denn ihn hatte man nach seiner furchtbaren Tat erschossen.
Tom Abel wunderte sich darüber, dass er nicht zusammenbrach und es sogar schaffte, an der Lehne der Couch, die jetzt zu einem Totenbett geworden war, entlang zu gehen.
Er hörte sich weinen. Er hörte sein Schluchzen, und wie unter Zwang blieb er in Kopfhöhe neben seinem Bruder stehen und schaute nach unten, weil er Gewissheit haben wollte.
Er bekam sie.
Brian lebte nicht mehr. Der Stich mit dem Messer mitten in die Kehle hatte ihm das Leben genommen. Es war kein besonderes Messer. Eines, das einen roten Kunststoffgriff hatte und wahrscheinlich aus der Küche seiner Eltern stammte.
Man sagt Toten nach, dass sie keinen Ausdruck in ihren Augen haben. Das war bei Toms Bruder anders. Brians Blick zeigte selbst im Tod noch die große Verwunderung. Etwas musste ihn wahnsinnig überrascht haben, ebenso wie es bei Tom der Fall gewesen war.
Eric Walcott!
Der Gedanke ah den Mörder seiner Schwester wollte ihn einfach nicht loslassen. Er stellte sich auch nicht die Frage, ob so etwas überhaupt möglich war. Was er gesehen hatte, das hatte er gesehen, davon brachte ihn niemand ab.
In seiner Brust schlug das Herz wie eine Trommel. Tom wagte es nicht, seinen toten Bruder anzufassen und ihm die Augen zu schließen, aber seine Gedankenwelt war nicht völlig außer Kontrolle geraten. Er fürchtete sich vor der Rückkehr seiner Eltern. Wenn sie aus der Kirche kamen und erfuhren und dann sahen, was hier passiert war, würden sie das nicht verkraften können.
Von drei Kindern zwei innerhalb kürzester Zeit zu verlieren, das würde sie in einen seelischen Ausnahmezustand stürzen.
So schlimm diese Minuten auch waren, Tom sah allmählich ein, dass er sich mit sich selbst beschäftigen musste, denn der Killer – wer immer es auch war – würde es nicht bei einem Toten belassen.
Es fiel ihm schwer, den Blick von seinem toten Bruder zu lösen. Er hätte ihn noch so gern getröstet und auch gestreichelt, aber das war jetzt nicht der richtige Zeitpunkt.
Nach einem tiefen Atemzug drehte er sich von der Couch weg.
Auf den Gedanken, die Polizei anzurufen, kam er nicht, er sah diesen Mord wie eine Privatsache an, und er spürte zugleich, wie die Flamme des
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