1469 - Der Köpfer holt sie alle!
aufgehört hatte. Also schießen und töten.
Die Öffentlichkeit würde geschockt sein, wenn sie von dem neuen Amoklauf erfuhr und bekannt wurde, wer der Mörder war. Ob Walcott genau diese Pläne verfolgte, wusste Marietta zwar nicht hundertprozentig, sie konnte es sich aber gut vorstellen.
Nachdem sie sicher war, dass sich der Killer noch nicht in der kleinen Kirche aufhielt, konzentrierte sie sich auf die Besucher. Sehr weit standen sie nicht von ihr entfernt. Es gab auch keine Bänke, sondern Stühle, die zu einigen Reihen zusammengestellt waren. Momentan waren nicht viele Reihen vorhanden. Wenn die Kirche voll wurde, stellte man noch weitere Stühle hinein, die ansonsten im kleinen Gemeindehaus standen.
Am Altar stand der Pfarrer. Er schaute als Einziger in Mariettas Richtung.
Als er jetzt den Kopf senkte, um etwas aus einem Buch abzulesen, nutzte Marietta die Gelegenheit, verließ ihren Platz am Taufbecken und huschte in eine kleine Nische neben dem Eingang. Dort war ein schlichter Altar mit einem einfachen Kreuz. Davor stand ein eisernes Gestell mit Reihen von kleinen Kerzen, die von Menschen für ihre Verwandten und Freunde angezündet wurden, für die sie bitten wollten.
Da nur wenige Kerzen ihr Licht abgaben, war es in der Nische relativ dunkel, und Marietta fand, dass es ein idealer Platz für sie war, um alles beobachten zu können.
Allmählich konzentrierte sie sich auf die Anwesenden am Altar.
Ihre Eltern erkannte sie sofort, obwohl sie ihr den Rücken zudrehten. Sie saßen in der ersten Reihe und waren dort allein gelassen worden. Bestimmt hatten sie das so gewollt. Die anderen Gäste verteilten sich auf den Stühlen hinter ihren Eltern. Ja, es waren Freunde aus dem Ort und aus der Umgebung. Die Abels waren beliebt gewesen, und als Marietta so grausam gestorben war, hatten viele mit den Eltern gelitten.
Das war auch jetzt noch nicht vorbei, sonst wären nicht so viele hier in der Kirche erschienen.
Marietta hätte sich gern ihren Eltern gezeigt und sie getröstet. Das traute sie sich jedoch nicht. Sie wollte nicht, dass sie und die anderen Gäste einen Schock erlitten. Es war besser, wenn sie den richtigen Zeitpunkt abwartete. Wann der sein würde, konnte sie nicht sagen, das stand in den Sternen.
Noch sprach der Pfarrer. Da nicht mehr das helle Tageslicht durch die schmalen Fenster drang, war es im Innern recht düster. So sah Marietta nicht mehr alles deutlich. Es hatte sich Zwielicht ausgebreitet, gefüllt mit Schatten, die verschiedene Grautöne aufwiesen und sich in der Kirche verteilten.
Der Pfarrer sprach weiter. Er hatte eine klare Stimme und redete glücklicherweise nicht so salbungsvoll.
»Es sind inzwischen sechs Monate seit dieser ruchlosen Tat vergangen, aber ein jeder von uns weiß, dass die Wunde noch frisch ist. Sie verheilt nicht so leicht, denn es gibt nichts Schlimmeres, als wenn Eltern ein Kind verlieren. Auch wenn es schon zwei Jahrzehnte gelebt hat und erwachsen ist, so bleibt es für die Eltern noch immer das Kind. Jeder von uns weiß, dass Worte Trost bedeuten können, aber dies zu begreifen ist für die Betroffenen fast unmöglich. Man muss sich schon damit abfinden und hoffen, dass sich der Mensch, der so brutal aus dem Leben gerissen wurde, jetzt in einer Welt aufhält, in der es keinen Hass und keine Feindschaft mehr gibt. Das wünschen wir uns alle. Der ewige Frieden soll über die Verstorbene kommen und sie für immer begleiten.«
Er schwieg, nickte besonders den Eltern zu und legte eine Pause ein.
Marietta wartete im Hintergrund. Die Worte des Pfarrers waren ergreifend gewesen und an den Versammelten nicht spurlos vorbeigegangen. Marietta hörte das Schluchzen, das leise Scharren der Füße auf dem glatten Steinboden. Betroffen waren besonders ihre Eltern, die dicht nebeneinander saßen und ihre Köpfe gesenkt hielten.
Auch Marietta spürte etwas. Sie wäre am liebsten losgelaufen, um sich ihren Eltern zu zeigen, aber sie wusste auch, dass es besser war, wenn sie sich zurückhielt.
War die Messe bereits beendet?
Es wäre ihr entgegen gekommen, denn dann wäre es Walcott nicht gelungen, hier einzugreifen. Trotzdem hütete sie sich davor, zu jubilieren. Sie musste auf der Hut sein. Walcott war ein grausamer Typ, der kein Menschenleben achtete. Dafür war ihr Bruder Brian das beste Bespiel.
Da es keinen Grund für sie gab, einzugreifen, wollte sie sich auch nicht zeigen. Wenn überhaupt, dann wollte sie nur ihren Eltern gegenübertreten. Die anderen
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