1472 - Loge der Unsterblichen
„Aber inzwischen habe ich Erkundigungen eingeholt, und es hat sich herausgestellt, daß jeder, den ich befragte, ein ähnliches Empfmden hatte wie ich. Für alle waren die Hyperbeben eine schmerzliche körperliche Erfahrung. Eleiher und seine Freunde eingeschlossen. Und wie steht es mit euch?"
„Du nanntest dich empfänglich, meintest aber vermutlich empfindlich", sagte Pavand ausweichend. „Du leidest an Hypersensibilität, Mädchen."
„Keine Ausflüchte, bitte", sagte Iridora scharf; sie war es leid, sich mit den Altesten ihres Volkes zu streiten. „Ich frage euch direkt: Ist es euch ebenso ergangen, daß euch die Hyperbeben körperliches Unbehagen bereiteten? Boleam?"
„Ich habe die Strukturerschütterungen als unangenehm registriert, ja", sagte Boleam. „Doch nach kurzem Unbehagen war alles wieder wie zuvor. Ich konnte an mir keine wie auch immer gearteten nachteiligen Auswirkungen feststellen. Darum habe ich dem keine Bedeutung beigemessen."
„Pavand?"
„Mir erging es wie Boleam - und ich denke wie er."
„Skayer?"
„Ich kann auch nichts anderes dazu sagen."
„Ich verstehe gar nicht, warum du diesen Punkt so betonst", sagte Isthor, bevor noch Iridora die Frage an ihn richten konnte. „Das will ich euch sagen", antwortete Iridora. „Ich habe mir überlegt, ob das seltsame Verhalten Eleihers und der anderen eine Spätfolge dieser Strukturerschütterungen sein könnte. Ist das nicht ein überlegenswerter Gedanke?"
Die vier Amarena sahen zuerst Iridora verständnislos an und wechselten dann bezeichnende Blicke. Sie waren sich offenbar einig, was von Iridoras Überlegungen zu halten war.
Iridora zog aus ihrem Verhalten die richtigen Schlüsse. „Danke, ich möchte eure Gedanken zu diesem Thema gar nicht hören", sagte sie und verließ die Pyramide.
Zu diesem Zeitpunkt kehrte Alianda gerade von dem Rundflug mit ihrem Raumschiff nach Welt zurück.
Sie suchte gleich darauf Iridora auf und berichtete: „Seit ich in Amagorta bin, habe ich nichts Aufregenderes mehr erlebt!"
*
Alianda war wie berauscht.
Was für ein einmaliges Erlebnis hatte sie sich gerade gegönnt! Sie hatte nicht mehr gewußt, wie schön es war, in einem Raumschiff zu fliegen. Es bedurfte nicht der geringsten geistigen Anstrengung. Zwar konnte man das Raumschiff selbstverständlich auch durch Gedankenbefehle steuern, wenn man wollte, doch darauf hatte Alianda verzichtet.
Sie hatte die Steuerung manuell vorgenommen, denn sie wollte den Flug mit jeder Faser ihres Körpers erleben, wollte körperlich eins mit diesem einmaligen Instrument Raumschiff sein. Und das war ihr gelungen.
Einmal um die Singularität und wieder zurück. Fürs erste gab sich Alianda damit zufrieden. Mit Phaera an ihrer Seite war das ein doppeltes Vergnügen. Nach der Landung hatte er sie berührt und damit ein eigenes Gefühl in ihr geweckt. Sie spürte, wie dabei die Frau in ihr erwachte. Und sie hatte die Berührung erwidert und gemerkt, wie elektrisiert auch er war. Und sie schämte sich dessen. „Was haben wir eigentiich getan?" sagte sie schuldbewußt, während sie steif im Kontursessel saß. „Wir könnten noch mehr tun." Phaeras Atem ging keuchend. „Schluß damit!" verlangte Alianda.
Aber Phaera ergriff ihr Handgelenk und hielt sie fest gepackt, dabei zitterte er. Sein Atem beschleunigte sich, und sie spürte seinen heißen Atem im Gesicht. Noch nie zuvor hatte sie den Atem eines anderen Amarena wahrgenommen. Man sprach mit dem Mund, aber nur Tiere atmeten damit auch. Amarena dagegen atmeten Leben mit jeder Pore ihres Körpers ein. „Wenn wir uns wieder unserer Körper bewußt werden wollen, dann müssen wir dies bis zur letzten Konsequenz tun", sagte Phaera. „Machen wir keine Kompromisse. Entweder ganz oder gar nicht."
Alianda schwindelte, sie fühlte sich schwach und fürchtete, daß ihr Körper kollabieren könnte. „Bitte", hauchte sie. „Bitte, laß mich los."
Phaera gehorchte, dies jedoch nicht aus Rücksicht auf sie. Alianda merkte, daß auch er einen Schwächeanfall hatte. Plötzlich begann er heftig zu zittern. Diesmal jedoch nicht aus Schwäche, sondern aus Wut. „Du Dreckstück", sagte er. „Du bringst mich auf Hochtouren und läßt mich dann hängen."
Er erhob sich und verließ schwankend das Raumschiff.
Alianda fühlte sich auf einmal leer, einsam und verloren. In ihrer Qual versuchte sie sich abzureagieren.
Es war fast eine motorische Reaktion, als sie das Raumschiff startete und in den Raum hinausflog.
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