1473 - Sandrines Voodoo Lehre
wollen nichts anderes als hier ohne Störung leben. Mehr haben wir nicht im Sinn. Aber da gibt es eine Kraft, die das wohl nicht will, und genau das ist eben unser großes Problem.«
»Hätten Sie denn einen Verdacht?« fragte Dagmar.
»Nein.« Die Antwort war spontan erfolgt. »Wir haben keinen Verdacht. Wie auch? Hier kennt jeder jeden. Selbst ich fühle mich hier längst heimisch. Natürlich gibt es hin und wieder Streit, aber so etwas ist normal. Nur dass so schreckliche Dinge passieren, das macht uns Kummer. Und ich weiß, dass wir noch öfter die Polizei im Ort haben werden. Der Fall muss schließlich aufgeklärt werden. Ältere Menschen sprechen bereits von einem bösen Zauber.«
»Haben Sie denn damit so unrecht?« fragte Harry.
»Ich denke schon. Die Zeiten, wo man an Hexen und an einen bösen Zauber glaubte, sind wohl vorbei.«
»Da haben Sie recht.« Harry nickte.
»Und ich wünsche Ihnen noch einen besonders schönen Abend. Wir haben wieder eine tolle Luft, die uns die Hitze des Tages vergessen lässt.«
»Wir werden auch noch eine Runde gehen«, sagte Dagmar.
»Tun Sie das.«
Lydia Noir ging zum Nebentisch, während Dagmar Hansen aufstand. »Ich wechsle nur eben meine Schuhe.«
»Ist okay.«
Harry blieb allein zurück. Er atmete tief durch und schaute zum Himmel, der sich allmählich in ein sehr dunkles Blau verfärbte.
Wenn er genau hinschaute, zeigten sich bereits die ersten Sterne, die wie diamantene Splitter funkelten.
Es hätte ein wunderbarer Abend und auch der Beginn einer fast schon klassischen Urlaubsnacht werden können, wenn sich Harrys Gedanken nicht mit anderen Dingen beschäftigt hätten. Er kam davon nicht los.
Dagmar kehrte zurück. Sie trug jetzt Schuhe mit flachen Absätzen.
Die passten zwar nicht zum Kleid, aber es ließ sich in ihnen besser laufen.
»Kommst du?«
Harry legte seine Serviette auf den Tisch und stand auf. Er war gespannt, was die folgenden Stunden noch bringen würden. Und das in einer Nacht, wie sie herrlicher nicht sein konnte…
***
Pauline Perrot schlief noch immer, als Sandrine mit leisen Schritten das Haus betrat. Die Glotze lief und wurde auch nicht ausgeschaltet.
Sandrine lief die Treppe zu ihrem Zimmer hoch, und als sie die Tür öffnete, da fuhr ihr ein Schwall warmer Luft entgegen, der sie fast wieder umdrehen ließ.
Sie betrat das Zimmer trotzdem und holte ihren Rucksack hervor.
Mit ihm zusammen ging sie in die Knie, um das aus dem Schrank zu holen, was sie brauchte.
Es waren Puppen.
Recht kleine, damit auch viele in den Rucksack passten. Jede Puppe hatte die Gestalt eines Menschen und in etwa angedeutet die Züge derjenigen Person, die auf Sandrines Liste stand. Da gab es auch noch andere, aber sie dachte jetzt mehr an die jungen Leute, mit denen sie noch abrechnen musste.
Sie war ihnen immer zu arm gewesen, und deshalb wurde sie ausgeschlossen. Doch das würde bald ein Ende haben. Die nächsten Stunden dieser Nacht würde niemand vergessen.
Sie lächelte, als sie daran dachte, die letzte Puppe in die Hand nahm und sie in ihrem Rucksack verstaute. Keine der lebenden Personen ahnte, dass Sandrine nahe genug an sie herangekommen war, um etwas Persönliches von ihnen zu nehmen und die entsprechende Puppe damit zu bestücken. Mama Rosa hatte ihr einiges beigebracht, und sie würde ihr noch mehr beigebracht haben, wenn die Lehre mal vorbei war. Sie waren bereits für das nächste Wochenende verabredet.
Sie schloss den Rucksack. Die Klettverschlüsse hielten gut, und dann hängte sie ihn sich über.
So verließ sie ihr Zimmer. Auf dem Weg nach unten hörte sie Geräusche aus der Küche. Ihre Mutter war erwacht, und sie hustete, wie sie es auch am Morgen immer tat.
In der offenen Tür blieb Sandrine stehen.
»Was hast du, Mutter?«
Pauline stand bereits auf den Beinen. »Ich bin wahnsinnig müde, Sandrine.«
»Dann geh ins Bett.«
»Das mache ich auch.« Sie schaute hoch und schaltete dabei die Glotze aus. »Und was ist mit dir?«
Sandrine lächelte. »Ich werde noch ein paar Runden drehen. Es ist eine wunderbare Nacht.«
»Das stimmt. Aber lass dich nicht anmachen.« Pauline Perrot lächelte. »Du siehst richtig gut aus.«
»Danke, Mama. Aber ich kann dir versprechen, dass ich in der Lage bin, mich zu wehren.«
»Das musst du auch. Die Welt ist schlecht, selbst hier. Aber was rede ich da. Wir haben es lange genug selbst erlebt.«
»Stimmt.«
Sandrine wartete noch, bis ihre Mutter im Schlafzimmer verschwunden war, löschte
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