1473 - Sandrines Voodoo Lehre
dann in der Küche das Licht und verließ das Haus.
Der kleine Laden lag direkt nebenan. Eingerichtet in einem garagenähnlichen Flachbau, der noch zum Haus gehörte. Das Geschäft selbst hatte auch kaum größere Ausmaße als eine Garage.
Die Tür war abgeschlossen, und so konnte sich Sandrine beruhigt auf den Weg machen.
Sie hätte direkt in Richtung Marktplatz gehen können, doch darauf verzichtete sie. Stattdessen nahm sie wieder einen Umweg, denn sie wollte im Hintergrund bleiben und von dort ihre Zeichen setzen.
Sich als Zuschauerin die Menschen ansehen und heimlich beobachten, wie sie plötzlich nicht mehr wussten, was mit ihnen los war.
Sie nahm eine enge Gasse, dann lief sie eine Treppe hinab und auch an der kleinen Kirche vorbei, der sie einen fast hasserfüllten Blick zuwarf.
Sie war früher jeden Sonntag in die Kirche gegangen, aber das hatte ihr nichts gegeben. Das Elend konnten auch die Gebete nicht stoppen, und deshalb hatte sie es aufgegeben, sich in die Bank zu knien und zu beten.
Jetzt eilte sie an der Tür vorbei, um den schmalen Weg zu erreichen, der einen Bogen schlug und schließlich vor dem Platz endete, wo sich alles abspielte.
Sie suchte nach einem Platz, an dem sie sich verstecken konnte.
Sandrine wollte nicht zu weit entfernt stehen, sie wollte nahe sein, aber selbst nicht gesehen werden.
Dass dort unten gefeiert wurde, war deutlich zu hören. Musik, die Stimmen, manchmal ein Grölen, das alles schallte als Geräuschkulisse zu ihr hoch.
Sie brauchte auch nicht leise zu sein, aber dann sah sie vor sich einen glühenden Punkt, der sich bewegte. Es war die Glutspitze einer Zigarette, die jemand in der Hand hielt.
Sie kannte den Mann. Beide waren zusammen in eine Schulklasse gegangen. Es war der fette Rudi, der nie gehänselt worden war. Sein Vater gehörte zu denen, die unten an der Küste einen Bootsverleih besaßen, und wer sich bei Rudi einschmeichelte, durfte hin und wieder mit hinaus aufs Meer fahren und die Schiffe der Schönen und Reichen bestaunen.
Er sah sie und schwankte an ihr vorbei. Rudi war bis Unterkante Oberlippe abgefüllt.
Sandrine schlug einen Bogen und schaute über den Platz hinweg.
Die älteren Menschen hatten sich zurückgezogen. Vor der Bäckerei saß niemand mehr, nur die Partytypen waren noch da.
Wein und Bier wurde getrunken. Mädchen tanzten nach der Musik. Keine von ihnen mit leeren Händen, denn die hielten sich an Wein- oder Bierflaschen fest.
Die Jungen hockten auf dem Boden oder lehnten an der Mauer. Sie tranken nur, ans Tanzen dachten sie nicht.
Sandrine ging noch drei Schritte weiter. Von diesem Punkt aus übersah sie den gesamten Platz, der wirklich nicht sehr groß war. Es gab auch keinen Brunnen als Mittelpunkt wie auf so vielen ähnlichen Plätzen. Er war leer, übersichtlich, und genau das kam Sandrine entgegen.
Sie lächelte schon jetzt, und das Lächeln blieb auch auf ihren Lippen, als sie sich bückte, den Rucksack zu Boden stellte und die Klettverschlüsse aufzog.
Dann öffnete sie den Rucksack und tauchte ihre rechte Hand hinein.
Nicht von allen Feiernden hatte sie Puppen hergestellt, die meisten aber waren schon vertreten.
Wahllos griff sie hinein, holte eine Puppe hervor, lächelte wieder und schaute auf den Platz.
Sie hatte die richtige Wahl getroffen. Es war Alain, der Typ mit den blonden Haaren, die ihm bis auf die Schultern wuchsen. Alain stammte aus dem Norden. Seine Eltern waren zugezogen, und er ließ sich wegen seiner langen Haare gern Engel nennen.
»Engel!« flüsterte Sandrine und lächelte vor sich hin. »Du bist kein Engel. Eher ein Teufel, wenn ich daran denke, was du mit mir vorhattest…«
Sie hatte den Satz kaum ausgesprochen, da entstand wieder das Bild vor ihren Augen.
Es war im Winter gewesen. Es hatte sogar hier geschneit und nicht nur weiter oben in den Bergen. Der Engel und zwei seiner Kumpane von der Küste hatten getrunken an einer von ihnen selbst gebauten Eisbar. Sie hatten sich regelrecht zugeschüttet, und dann war ihnen Sandrine über den Weg gelaufen. Sie hätte die Eisbar am Ortsende gemieden, doch sie hatte zu versteckt gelegen.
Engel war noch nüchtern genug gewesen, um sich Sandrine zu schnappen. Seine Kumpane schafften nichts mehr. Um auf den Beinen zu bleiben, mussten sie sich festhalten.
Engel war zwar auch stockvoll, und er war brutal. Und nicht mehr auszurechnen. Er wollte Sandrine und hatte sie schon in den Schnee geschleudert, aber im letzten Augenblick war es ihr gelungen, den
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