1481 - Wenn alte Leichen lächeln ...
nachdem wir einen kleinen Schluck getrunken haben.«
Aus dem kleinen Kühlschrank, der in die Holztäfelung der Wand integriert war, hatte Ellen Long eine Flasche Champagner geholt, die sie jetzt öffnete. Der Korken knallte nicht sehr laut, aber sie musste schnell einschenken, sonst wäre der Schaum übergequollen. Die Flasche verschwand in einem mit Eisstücken gefüllten Kübel.
Ellen hob ihr Glas. »Auf uns, Glenda. Toll, dass wir uns so schnell wiedersehen.«
»Ja, manchmal geht das Leben schon verrückte Wege.«
Dass Glenda um diese Mittagszeit Champagner trinken würde, das hätte sie sich bei Dienstbeginn nicht vorstellen können. Ein schlechtes Gewissen hatte sie jedoch nicht. Man musste eben das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden.
Die beiden Frauen aßen, sie tranken hin und wieder einen Schluck, und Glenda fiel auf, dass Ellen Long ihr hin und wieder einen prüfenden Blick zuwarf, als wollte sie etwas herausfinden, ohne sich zu trauen, danach zu fragen.
Es war Glenda, die dann zum Thema kam. »Wie sieht es aus, Ellen? Du wolltest mir etwas über diese Gale Hanson sagen.«
»Stimmt.«
»Und?«
Ellen schlug die Beine übereinander. Sie saß Glenda gegenüber und lächelte. »Wenn ich ehrlich sein soll, dann kann man das nicht in einem Satz zusammenfassen.«
»Nun ja, ich habe Zeit.«
»Ich kenne Gale Hanson.«
Glenda nickte. »Okay, das habe ich zur Kenntnis genommen. Obwohl du mir bei meinem ersten Anruf nichts davon gesagt hast.«
Ellen Long wand sich und verzog dabei das Gesicht. »Ja, das stimmt schon, Glenda.«
»Und warum hast du so reagiert?«
»Weil ich zu dem Zeitpunkt unter Stress stand. Ich musste mir einen Vertrag durchlesen und wollte mich nicht länger ablenken lassen.« Jetzt lächelte sie wieder. »Aber ich habe mich ja noch besonnen, dir die Wahrheit zu sagen.«
»Ja, das hast du.« Glenda griff nach einem Stück Käse. »Und wie gut kanntest du sie?«
»Nun ja, sie hat hier gewohnt, und sie war eine bemerkenswerte Frau, die es schaffte, viele Menschen in ihren Bann zu ziehen. Sie hatte etwas Besonderes an sich, verstehst du?«
»Nein.«
»Es ist auch schwer zu erklären«, gab Ellen zu. »Jedenfalls kann man von ihr sagen, dass sie immer genau gewusst hat, was sie wollte.«
»Und dann starb sie.«
»Genau.«
»Sie war nicht alt – oder?«
»Nein«, murmelte Ellen. »Gerade mal fünfunddreißig Jahre alt. Schrecklich.«
»Woran starb sie, und wann war das?«
»Ungefähr vor zwei Jahren.«
»Und die Todesursache?« Glenda ließ nicht locker.
»Der Arzt hat von einem Herzinfarkt gesprochen. So etwas passiert manchmal, und es trifft immer die Besten.«
»Ja, das ist wohl so«, bestätigte Glenda, bevor sie die nächste Frage stellte. »Hat sie denn auch einen Beruf gehabt?«
»Sicher. Sie hat sich mit vielen Dingen beschäftigt. Aber sie ging dem Beruf der Therapeutin nach und hatte auch einigen Zulauf. Besonders junge Menschen kamen zu ihr. Für sie hatte sie einfach ein Händchen. Sie kam gut mit ihnen zurecht.«
»Gab es auch Heilungserfolge?«
»Ich denke schon. Sie ging ja völlig neue Wege. Sie hat den Menschen als ein Wesen gesehen, das ewig existiert. Das kein Verfallsdatum hat. Und das tat den Leuten gut.«
Glenda hatte alles gehört und konnte sich nun einen Reim darauf machen. »Aber Menschen leben nicht ewig. Sie müssen sterben, das galt auch für Gale Hanson…«
»Ja, ja«, murmelte Ellen.
»Stimmt was nicht?«
»He, du bist misstrauisch, Glenda, aber du hast recht. So ganz normal war es nicht, denn Gale hat selbst fest an das geglaubt, was sie ihren Patienten vermittelte.«
»Also das Sterben und dennoch nicht richtig tot zu sein, wenn ich das mal so naiv ausdrücken darf?«
»Ja.«
»Aber sie wurde begraben.«
»Das ist richtig.«
»Und man hat sie oder ihr Grab über zwei Jahre hinweg in Ruhe gelassen. Ist das so richtig?«
»Ja.«
»Und warum ist jetzt wohl jemand hingegangen, um in ihrem Grab nachzusehen? Was ja auch geschah, aber Gale Hanson war nicht verwest, wie es nach zwei Jahren hätte sein müssen. Sie hatte sich wohl verändert, mehr ist jedoch nicht geschehen.«
»Stimmt.«
»Woher weißt du das?«
Ellen Long lächelte etwas verlegen. »Nun ja, auch ich habe meine Beziehungen. So etwas spricht sich hier schnell herum. Aber ich bin nicht überrascht gewesen.«
»Warum nicht?«
»Weil ich früher oft mit ihr gesprochen habe. Und es sind immer interessante Themen gewesen, die auch über das normale Leben
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