1481 - Wenn alte Leichen lächeln ...
hinausgingen.«
»Und was hat das zu bedeuten?«
»Nun ja, ich habe erfahren, dass sie keine Angst vor ihrem Tod gehabt hat. Sie war immer der Ansicht, dass mit dem Ableben nicht alles beendet ist.«
»Das sagt der christliche Glaube auch. Ebenso wie der Islam.«
»Verstehe.« Ellen schüttelte trotzdem den Kopf und kam wieder auf Gale zurück. »Nur sah sie die Dinge anders als die beiden Religionen, und ich denke sogar, dass sie einen Weg gefunden hat, um den Tod zu überlisten. Vielleicht hat sie sich auch Partner von der anderen Seite geholt. Wer kann das schon mit Bestimmtheit sagen?«
Zu Beginn war es nur eine lockere Unterhaltung gewesen. Jetzt aber lief das Gespräch in eine Richtung, die Glenda misstrauisch machte. Hier war ein Thema angeschnitten worden, bei dem sich Ellen auszukeimen schien. Das hätte Glenda ihr kaum zugetraut.
»Du weißt viel, Ellen.«
»Nein, ich weiß noch viel zu wenig. Aber ich möchte gern mehr wissen.« Sie hob ihr Glas an und trank es leer.
»Über den Tod?«
»Ja.« Ellen Long griff zur Flasche und schenkte sich nach. Glenda lehnte ab, und Ellen sprach erst weiter, als sie die Flasche wieder ins Eis gesteckt hatte. »Oder bist du nicht neugierig?«
»Doch, das bin ich.«
»Aber du zeigst keine Neugierde und nimmst hin, dass der Tod das Ende auf dieser Welt ist.«
»Das ist nun mal eine Tatsache.«
Ellen lehnte sich zurück. Etwas lässig schüttelte sie dabei den Kopf. »Ab jetzt nicht mehr.«
»Ach. Und warum nicht?«
»Weil es Gale Hanson gegeben hat und noch immer gibt.«
»Klar, als Tote.«
Die Maklerin schwieg. Aber aufgrund ihrer Haltung erkannte Glenda trotzdem so etwas wie eine Antwort. Der wissende Gesichtsausdruck machte ihr klar, dass Ellen mehr wusste.
»Glaubst du das nicht?« fragte Glenda.
Ellen wich ihrer Frage aus. »Du musst es wissen, Glenda. Du bist beim Yard. Bei euch kümmert man sich darum.«
»Das ist wohl wahr. Das Grab war aufgebrochen. Die Tote lag nicht in einem Sarg, und ich habe gehört, dass sich auf ihrem Gesicht ein Lächeln gezeigt hat. Eine alte Leiche, die lächelt, die sich über etwas freut.«
»Nicht schlecht.«
»Aber dann verschwand die Leiche vom Obduktionstisch. Und das passt nicht mehr.«
»Stopp, Glenda. Nur wenn man Gale nicht gekannt hat. Ich habe sie gekannt, und sie hat sehr überzeugend gesprochen, sodass ich ihr glauben konnte.«
»Dass sie in der Lage ist, den Tod zu überwinden?«
»Hat sie das nicht schon?« Ellen beugte sich vor und schaute Glenda aus glänzenden Augen an.
Für einen Moment presste Glenda die Lippen zusammen und atmete nur durch die Nase.
»Was weißt du, Ellen?« fragte sie dann. »Was willst du mir sagen? Warum sitze ich hier?«
»Es ist ganz einfach.« Ellen sprach jetzt lauter. »Man sollte Menschen wie Gale Hanson in Ruhe lassen. Wobei ich den Begriff Menschen eigentlich nicht benutzen will. Für mich war sie mehr. Eine Wissende, eine Göttin, was weiß ich…«
»Und eine Mörderin«, flüsterte Glenda dazwischen.
»Wieso?«
»Sie hat einen Arzt umgebracht, als sie den Obduktionsraum verließ. Bisher müssen wir davon ausgehen, und so etwas wie sie darf nicht weiterhin in unserer Welt existieren. Das ist meine Schlussfolgerung. Sie ist verdammt gefährlich.«
»Nein, das ist sie nicht. Gale ist ein Genie. Sie ist auch nicht tot, sie ist zu etwas anderem geworden.«
Glenda runzelte die Stirn. Sie gab sich gelassen, doch in ihrem Innern brannte ein Feuer.
»Was ist sie denn jetzt, wenn nicht tot?«
»Gale Hanson hat sich in ein Wesen der Nacht verwandelt«, flüsterte Ellen Long.
»Aha.«
»Mehr sagst du nicht?«
»Ich denke noch nach. Kannst du mir denn erklären, was ein Wesen der Nacht ist?«
Ellens Augen begannen zu glühen. »Sie ist etwas ganz Besonderes. Sie hat es geschafft, den Tod zu überwinden, ohne selbst zu sterben. Sie ist eben ein Wesen der Nacht. Sie findet sich in einer anderen Welt zurecht, die dir und mir noch verborgen ist. Fürchte den Tod nicht, hat sie gesagt. Wenn du alles richtig machst, wird er dich in ein Zwischenreich bringen, und genau das ist mit Gale Hanson geschehen.«
Glenda Perkins konnte es nicht fassen. Sie fühlte sich wie vor den Kopf geschlagen. Nie hätte sie gedacht, dass ihr Gespräch mit der Schulfreundin so verlaufen würde. Ihr kam auch in den Sinn, dass bestimmte Dinge kein Zufall gewesen waren.
»Darf ich dich was fragen, Ellen?«
»Ja, bitte.«
»Hast du das Grab geöffnet?«
Die Maklerin lachte und warf dabei
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