1490 - Das Rätsel der Leichenvögel
sie den Vorgängen auf den Grund gingen.
Simone hatte ihren Freund auch nicht danach gefragt, wie weit sie fahren mussten. In den Wald hinein kamen sie bestimmt nicht mit dem Van. So würden sie den Rest der Strecke zu Fuß gehen müssen.
Ihr Freund schloss die Tür und drehte sich um. Er hatte seine dunkle Winterjacke übergezogen und sich die Strickmütze auf den Kopf gedrückt. Seine Füße steckten in Stiefeln, und wenn er ging, schaukelte er von einer Seite zur anderen.
»Alles klar?« fragte Simone.
»Ja.« Elliot griff in die Tasche und holte eine Lampe hervor. »Die wird uns gute Dienste leisten.«
»Bestimmt. Hast du auch so etwas wie eine Waffe eingesteckt?«
Er schaute zu Boden, als wäre es ihm peinlich. »Ja, ich habe eines der Messer eingesteckt.« Er klopfte gegen seine Tasche. »Eine sehr scharfe Klinge. Aber warum fragst du? Soll ich noch eine Waffe holen? Ich meine, wir haben noch Messer und auch Beile. Aber!«
»Nein, nein, lass mal. Das reicht schon.«
»Okay, dann steig ein.«
Simone öffnete die Tür der Beifahrerseite und nahm auf dem braunen Ledersitz Platz. Sie schnallte sich an und hielt den Blick nach rechts gerichtet.
Das Gesicht ihres Freundes war starr. Man konnte es schon als eine Maske ansehen. Bevor er startete, legte sie ihm eine Hand auf den Unterarm. »Wie geht es dir?«
»Weiß nicht…«
»Hast du Angst?«
»Nein, nicht direkt. Aber ein komisches Gefühl ist es schon. Da spüre ich einen Druck in der Magengegend. Ich hoffe, dass wir einen Schritt weiter kommen und mit dem richtig liegen, was wir jetzt tun.«
»Wie meinst du das?«
»Ich frage mich, ob uns der Vogel wirklich in den Wald locken wollte.«
»Das werden wir bald herausfinden. Ach, und noch eine Frage. Wie lange werden wir fahren müssen?«
»Kaum mehr als zehn Minuten.«
»Das lässt sich ertragen.«
»Wieso das denn?«
»Ich habe keine Lust auf eine lange Autofahrt und hoffe zudem, dass wir bei Anbruch der Dunkelheit wieder zurück sind.«
»Das hoffe ich auch.«
Nach dieser Antwort startete Elliot Wells den Van. Er fuhr recht langsam über das Gelände, bis er den schmalen Weg erreicht hatte, der in die richtige Richtung führte. Sie verließen das Grundstück, brauchten aber nicht zur normalen Straße zu fahren, die zu einem Industriegebiet führte, sie blieben auf dem parallelen Weg, der graue Felder durchschnitt.
Die Gegend war nicht völlig flach. Es gab hin und wieder kleine Erhebungen, die aber nicht die Sicht beeinträchtigten.
Der nächste Ort hieß Child’s Hill. Seine Häuser malten sich im Osten ab. Über manchen Dächern schwebten Rauchwolken, die aus Schornsteinöffnungen quollen.
Der Wald lag direkt vor ihnen. Nach einer weit gestreckten Kurve geriet die dunklere Fläche in ihr Blickfeld. Noch waren die Einzelheiten nicht zu unterscheiden. Der Wald sah aus wie jeder andere auch, und trotzdem fuhr Simone ein leichter Schauer über ihren Nacken, der auch ihr Gesicht nicht verschonte, was Elliot bei einem Seitenblick auffiel.
»He, was ist los mit dir?«
»Ach, nichts.« Sie musste leise lachen. »Ich habe nur daran gedacht, dass ich als Kind oft Angst hatte, wenn mir bestimmte Märchen erzählt wurden, wo Menschen in dunkle Wälder gingen und darin das Grauen erlebten.«
»Meinst du, dass das auch uns passieren könnte?«
»Wenn ja, dann sind es keine Märchen.«
»Und wir sind keine Kinder, die allein in den Wald gehen. Du heißt nicht Gretel und ich nicht Hänsel.«
»Zum Glück nicht. Ich habe keine Lust, auf ein Hexenhaus zu treffen.«
»Ein Friedhof ist auch nicht ohne.«
»Stimmt. Aber lass das Thema lieber.«
»Ganz wie du willst.«
Von einem Weg konnte nicht mehr gesprochen werden. Der Boden zeigte einen dichten Grasbewuchs und war noch durch den letzten Regen mit Wasser voll gesogen. Da hatte es auch ein Van schwer, voranzukommen. Hin und wieder rutschte der Wagen zur Seite weg und musste durch Gegenlenken zurück auf den Weg gebracht werden.
Kurz vor dem Erreichen des Waldes fiel das Gelände nach links hin leicht ab. Genau da war die Endstation für die beiden erreicht, und Elliot stellte den Motor ab, nachdem er angehalten hatte.
»So, das war’s.«
Simone nickte. Den Rest würden sie zu Fuß gehen. Sie hatte sich den Waldrand noch nicht genau angeschaut, dafür ließ sie ihre Blicke mehr nach oben gleiten, als sie den Gurt löste.
Bisher hatten sie auf der Fahrt nichts Verdächtiges gesehen, doch nun war der Schatten urplötzlich da. Er fiel von oben
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