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1499 - Rattenwelt

1499 - Rattenwelt

Titel: 1499 - Rattenwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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wollte, konnte ihn von jedem Punkt aus zu Fuß erreichen.
    Wir hatten trotzdem den Golf genommen. Ich fuhr diesmal, der Constabler saß neben mir und erklärte mir, wie ich zu fahren hatte.
    Es legte sich noch längst keine Dämmerung über das Land, aber es war schon recht dunkel geworden. Das lag an den mächtigen Wolken, die sich am Himmel ballten. Sie waren noch schwärzer geworden, und es war nur noch eine Frage der Zeit, wann es anfangen würde zu schneien.
    Der Golf rollte über recht schmale Wege dem Ziel entgegen. Ab und zu gab Edwin Proctor eine Anweisung, die ich befolgte. Es ging in den oberen Teil des Ortes, und auch die Kirche sahen wir jetzt deutlicher in einer trotz allem sehr klaren Luft.
    »Liegen Friedhof und Kirche zusammen?« fragte ich.
    »Nein, nicht direkt. Beide sind durch einen Weg verbunden, aber das ist keine weite Strecke.«
    »Weiß der Pfarrer auch schon, was hier passiert ist?«
    »Nein. Der liegt im Krankenhaus in Staines. Schwerer Herzinfarkt. Ob er noch mal zu uns zurückkehrt, ist sehr fraglich.«
    »Ah ja.«
    Mir fiel die Unruhe des Constablers auf. Er schaute oft nach draußen und war wohl auf der Suche nach irgendwelchen Ratten. Aber sie hielten sich zurück. Es bewegte sich nichts Fremdes in unserer Nähe. Andere Menschen bekamen wir erst recht nicht zu Gesicht.
    Kurz vor dem Ziel mussten wir den Weg verlassen und bogen in einen schmaleren ein, der von dichtem Buschwerk flankiert wurde.
    An seinem Ende begann der Friedhof, und zwar der Teil, auf dem auch das kleine Leichenhaus stand.
    Es war im Windschatten einer Trauerhalle gebaut worden, die uns zunächst nicht interessierte. Wir stiegen aus. Eine kalte Schneeluft wehte in unsere Gesichter, aber noch fiel keine Flocke.
    Es war still hier oben. Kein Besucher ließ sich auf dem Gelände blicken, das von keiner Mauer umgeben war. Als Schutz reichten Büsche aus, die dicht wuchsen.
    Jane und ich folgten dem Kollegen, der auf das Leichenhaus zuging.
    »Es stammt noch von früher«, sagte Proctor. »Ich weiß nicht mal, wie alt es ist, aber da kommen bestimmt hundert Jahre zusammen. Na ja, und benutzt wird es noch immer.« Er holte einen Schlüssel aus der Tasche und steckte ihn in das primitive Schloss.
    Ich stand hinter ihm. Jane hinter mir, aber ein Stück entfernt. Sie hatte uns bereits erklärt, dass sie als Wachtposten draußen bleiben wollte, um die Umgebung im Auge zu behalten.
    Edwin Proctor drehte den Schlüssel im Schloss. Nach einem leisen Knirschen konnte er die Tür öffnen, die sich verzogen hatte und entsprechend klemmte. Er musste nachschieben, dann hatten wir freie Bahn und konnten in einen Raum treten, der sehr klein und finster war. Es gab hier kein Licht, aber was durch die Fenster fiel, reichte aus, um alles zu erkennen.
    Altes Mauerwerk. Sowohl innen als auch außen. Er war nicht verputzt, und der Kunststoffbehälter in der Mitte des Raums wirkte wie ein Fremdkörper. Er hatte Ähnlichkeit mit einem Sarg.
    Ich trat näher an den Gegenstand heran und hörte die Frage des Constablers.
    »Soll ich den Deckel abheben?«
    »Bitte.«
    Er bückte sich. Es waren keine Klemmen zu lösen. Er hob das Oberteil ab und hielt es so vor sein Gesicht, dass ihm die Sicht auf den Inhalt versperrt blieb.
    Mir reichte das Licht nicht aus. Ich holte meine Lampe hervor und strahlte das Skelett an.
    Es bot keinen Anblick für schwache Nerven. Die Ratten hatten nicht alle Knochen blank gefressen. Teile klebten noch an dem Skelett. Sie wirkten wie Fetzen, die man vergessen hatte abzureißen.
    Ich atmete scharf aus. In der Kehle spürte ich einen Kloß. Ich hatte den Mann nicht gekannt, aber er musste einen schlimmen Tod erlebt haben. Den wünschte man seinem ärgsten Feind nicht.
    »Genug gesehen, Mr. Sinclair?«
    »Ja.«
    Der Constabler legte den Deckel wieder auf und wischte sich ein paar Schweißtropfen von der Stirn. »Sie können sich denken, wie mir heute zumute war, als ich die Gestalt in der Zelle entdeckte. Das war einfach grauenhaft.«
    »Sicher.«
    »Und jetzt? Sollen wir wieder fahren, oder wollen Sie sich noch mal umschauen?«
    »Umschauen.«
    »Okay. Ich kann Sie dann über den Friedhof führen.«
    »Gibt es einen Ort, der sich als Versteck für die Ratten eignen könnte?« fragte ich.
    Proctor überlegte. »Nicht, dass ich wüsste. Ich würde den gesamten Friedhof nehmen.«
    »Ja, das könnte hinkommen. Wir müssen ihn eben abgehen.«
    Ob es Proctor gefiel, wusste ich nicht, aber in manchen Dingen bin ich ein Pingel.

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