15 - Geheimagent Lennet und das Kommando Sonderurlaub
sich nicht. Zehn Minuten später verschob sich der Zeiger auf dem Zifferblatt, und die Zahlen änderten sich: 920...
850... 600... 400... »Soll das heißen, der Sender nähert sich uns?«
»Ja. Ich habe einen kleinen Sender am Wagen deines Vaters angebracht.«
»Was, Papa ist um diese Zeit noch ausgefahren, anstatt ins Bett zu gehen?« Den alten Wagen des Professors hielt fast nur noch der Rost zusammen. Ursprünglich war das Auto einmal schwarz gewesen, jetzt leuchtete die eine Tür gelb, und auf die andere hatte ein phantasiebegabter Mensch Osterglocken gemalt. Der Wagen holperte langsam die Straße entlang und überschritt dabei kaum 35 Stundenkilometer.
Als der Professor in die Nationalstraße eingebogen war, folgte ihm Lennet. Bei der Geschwindigkeit war das keine Kunst. Sie fuhren ein paar Stunden, und Silvia wurde immer besorgter.
»Wir fahren direkt nach Deauville, zu Julie Crencks!« jammerte sie.
Lennet sagte nicht, was er dachte. Seine Taktik schien Erfolg zu haben. Es war ihm gelungen, den Fuchs aus seinem Bau zu locken.
Weit nach Mitternacht erreichte Marais' alter Peugeot sein Ziel. Der Abstand zwischen den beiden Autos, der stets der gleiche geblieben war, verringerte sich nun deutlich. Der Professor parkte unter einer Straßenlaterne vor einem Schuppen, stieg aus und hämmerte gegen die Schuppentür. Bumm, bumm, bumm. Doch nichts rührte sich. Marais trat nun einen Schritt zurück und bearbeitete die Tür mit den Füßen. Wie er so vor dem Schuppen herumtanzte, in seinen Knickerbockern und mit der merkwürdigen Kordel um den Hals, hätte man in ihm wohl kaum den berühmten Professor Marais, einen der größten Spezialisten für Militär- und Weltraumraketen, erkennen können.
»In der Tat", murmelte Lennet, »er scheint es wirklich sehr eilig zu haben!«
Bumm, bumm, bumm. Der Professor klopfte hartnäckig gegen die Schuppentür
Sprechende Bilder
Die beiden jungen Leute stiegen aus dem Auto und schlichen näher. Endlich öffnete sich die Tür.
»Na, das wurde aber auch Zeit!« rief Marais und schlüpfte in den Schuppen. Dann schlug er die Tür so heftig hinter sich zu, daß sie wieder aufsprang. Doch er merkte es nicht.
Lennet nahm Silvia bei der Hand und wollte ihrem Vater folgen, aber er spürte, daß sie sich dagegen sträubte. »Nun komm schon", flüsterte er.
»Nein", widersprach sie, »geh du nur. Du bist Geheimagent, es ist schließlich dein Beruf. Ich möchte Papa nicht nachspionieren.« Silvia hatte recht, er war im Dienst und brauchte nicht soviel Taktgefühl wie sie zu zeigen. Lennet ließ sie also auf dem Gehsteig zurück und betrat den Schuppen allein.
Ein verblüffendes Schauspiel bot sich seinen Augen. Im hinteren Teil war ein Wohnraum abgeteilt worden. Im vorderen Teil, dem weitaus größeren, hatte sich eine merkwürdige Gesellschaft eingefunden.
Da saß Victor Hugo, nachdenklich und erhaben in einem Lehnstuhl. Da zwinkerte Julius Caesar Lennet aufmunternd zu, als dieser näherkam. Hinter den beiden stand eine Italienerin, die ein prachtvolles Gewand aus grünem Samt trug, das vermutlich aus der Renaissance-Zeit stammte. Sie hob eine Hand, als Lennet auf sie zuging, und so konnte er einen großen Ring an ihrem Finger entdecken, dessen Fassung höchstwahrscheinlich zum Aufbewahren von Gift diente. Dann war diese Person vielleicht Lukrezia Borgia? Weiter hinten schwang ein Ritter drohend sein Schwert, während sich ein stattlicher Mann den Bart kratzte: etwa Karl der Große? Und dann bemerkte Lennet einen Mann in einer Badewanne, den eine junge Frau mit einem Dolch ermorden wollte.
Das muß der berühmte Marat sein, dachte Lennet. Was geht hier bloß vor? Er trat einige Schritte zurück, und sofort senkte Lunkretia Borgia die Hand, hörte Karl der Große auf sich zu kratzen, und zwinkerte Caesar ihm nicht mehr zu. Aber sobald Lennet wieder auf die Gestalten zuging, begannen sie wieder, sich zu bewegen. »Ich bin verrückt geworden und nicht der Professor", murmelte Lennet.
Er streckte seinen Arm aus, um Caesar zu berühren. Doch seine Hand griff ins Leere. Jede Person schien auf einer einzelnen kreisförmigen Plattform zu stehen. Aber als Lennet eine berühren wollte, bemerkte er, daß es sich in Wirklichkeit um einen Ring in der Größe eines Autoreifens handelte. In der Mitte des Ringes blitzte ein grelles Licht. Obwohl sich in der Halle anscheinend zwanzig Personen befanden, enthielt sie im Grunde nichts weiter als zwanzig Metallringe mit zwanzig
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