15 Gruselstories
forderte auch heute noch seine Opfer! »Er kommt durch den brennenden Wüstensand und wird die Welt beherrschen …«
Litt er schon an Halluzinationen? Sollte er es wagen, zurückzuschauen? Er drehte seinen glühenden, fiebrigen Kopf nach hinten und glaubte den Verstand zu verlieren. Aber er täuschte sich nicht. Irgend etwas war hinter ihm. Dieses Etwas war noch weit entfernt. Es war in einer Mulde, die unter ihm lag. Aber dieses dunkle, verschwommene Wesen schien ihm auf leisen Sohlen zu folgen.
Carnoti stieß einen Fluch zwischen den Zähnen hervor und begann zu rennen. Wenn er das Götzenbild nur nicht angetastet hätte! Wenn er aus dieser Hölle lebend herauskäme, würde er nie wieder an diesen verfluchten Ort zurückkehren. Die Legende stimmte also. Es gab ihn, den Gott der Wüste!
Obwohl die sengenden Sonnenstrahlen durch seine Stirn zu dringen schienen, hastete er weiter. Das gleißende Licht blendete ihn so, daß er kaum noch etwas sehen konnte. Alles begann sich vor seinen Augen zu drehen, und sein Herz hämmerte so heftig, daß er glaubte, es müßte jeden Augenblick zerspringen. Aber er war nur von einem Gedanken beseelt: zu fliehen!
Seine Einbildung spielte ihm üble Streiche. Er glaubte vor sich im Sand Statuen zu sehen, die der glichen, die er entweiht hatte. Sie erhoben sich plötzlich vor ihm. Sie schienen aus dem Boden zu wachsen. Sie stellten sich ihm unheimlich drohend in den Weg. Manche grinsten ihm mit ausgebreiteten Flügeln entgegen, andere glichen eher Schlangen oder Polypen. Aber eins hatten sie alle gemeinsam: Sie hatten keine Gesichter und trugen eine dreifache Krone.
Carnoti merkte, daß er langsam den Verstand verlor.
Als er einen Bück zurückwarf, stellte er voller Entsetzen fest, daß die schleichende Gestalt höchstens noch eine halbe Meile von ihm entfernt war. Er schrie gellend und stolperte weiter. Er fuchtelte wild mit den Armen herum, um die grotesken Trugbilder, die ihm den Weg versperrten, beiseite zu schieben. Die ganze Wüste nahm eine drohende Haltung ein. Es schien, als hätte sich die Natur gegen ihn verschworen, um ihn zu vernichten. Carnoti stöhnte und lachte schrill auf. Würde es niemals Abend werden?
Als es schließlich Abend wurde, nützte es Carnoti nichts, denn zu diesem Zeitpunkt bemerkte er es gar nicht mehr. Er war völlig im Delirium. Er war nur noch ein vor sich hinplapperndes Wesen, das sich durch den wogenden Sand schleppte. Und als der Mond am Himmel stand, schaute er auf eine torkelnde Gestalt hinunter, die abwechselnd aufheulte und grell lachte und schließlich zu Boden sank.
Jetzt kämpfte sich die Gestalt wieder auf die Füße und schaute verstohlen über die Schulter. Der Schatten kroch unaufhaltsam näher. Carnotis Lebenswille schien im Unterbewußtsein noch einmal aufzuflackern, denn er stolperte weiter, wobei er immer und immer wieder ein einziges Wort in die Nacht schrie: »Nyarlathotep!« Und der dunkle Schatten hinter ihm lag auf der Lauer.
Die schattenhaften, formlosen Umrisse mußten mit einer teuflischen Intelligenz ausgestattet sein, denn sie zwangen ihr Opfer, in eine ganz bestimmte Richtung zu laufen, als wollten sie es zu einem beabsichtigten Ziel treiben.
Die Sterne, die inzwischen am Himmel erschienen waren, schauten auf einen Wahnsinnigen herab, der von einem Schatten durch die endlosen Sandmassen gehetzt wurde. Jetzt hatte der Verfolgte gerade die Kuppe eines Sandhügels erreicht und blieb mit einem markerschütternden Schrei stehen. Der Schatten blieb ebenfalls stehen und verhielt sich abwartend.
Carnoti schaute auf die Überreste seines eigenen Lagerplatzes hinunter. Es sah alles noch genauso aus, wie er es gestern nacht verlassen
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