15 Gruselstories
hatte. Sein Geist klärte sich noch einmal, und Carnoti erkannte mit tödlichem Erschrecken, daß er die ganze Zeit im Kreis ›geflohen‹ war. Doch das Schicksal meinte es gnädig mit ihm, denn gleichzeitig mit dieser furchtbaren Erkenntnis verfinsterte sich sein Geist wieder. Er warf sich mit einer letzten körperlichen Anstrengung vor, um dem Schatten auszuweichen. Er merkte gar nicht, daß er direkt auf die beiden Findlingssteine, unter denen die Statue begraben war, zueilte.
Dann wurde sein Traum zur grausamen Wirklichkeit.
Als er rannte, begann der Sand vor ihm zu beben. Er wogte und schien unter Geburtswehen etwas hervorbringen zu wollen. Dann glitt der Sand wie ein reißender Sturzbach von der Höhe der Statue. Die beiden Findlingssteine gerieten ins Wanken. Sie wirkten fast schwerelos, als sie von der Figur glitten.
Es war der Sand, der weiterrieselte, aber es sah so aus, als würde sich die schwarze Gottheit aus der Erde erheben und böse im Mondlicht funkeln.
Als Carnoti auf das Götzenbild zustürzte, wurde er von dem rieselnden Sand eingefangen. Carnotis Füße versanken wie im Moor. Er strampelte und schlug heftig um sich. Aber je mehr er sich bewegte, desto tiefer versank er. Der feine weiße Sand umklammerte ihn und zog ihn mit unsichtbaren Armen unbarmherzig in die Tiefe. Jetzt reichte er ihm schon bis zur Hüfte.
Im selben Augenblick erhob sich der seltsame Schatten und sprang vor. Er schien in der Luft mit der Statue zu einem beseelten formlosen Nebel zu verschmelzen. Als das Carnoti, der sich immer noch verzweifelt gegen den Griff des gierigen Sandes wehrte, sah, wurde er vor Angst und Grauen vollständig und endgültig wahnsinnig. Die Nacht schien dem unförmigen Götzenbild Leben eingehaucht zu haben. Der todgeweihte, irre Carnoti starrte mit aufgerissenen Augen in das unirdische Antlitz. Es war genau wie in seinem Traum. Seine Augen, die im Wahnsinn rollten, erblickten hinter der steinernen Maske eine teuflische Fratze. In den Augen, die Carnoti höhnisch angrinsten, stand der Tod. Die schwebende schwarze Figur breitete ihre Schwingen aus und sank mit einem donnernden Knall in den Sand.
Durch den Aufprall versank Carnoti noch tiefer. Von ihm blieb nichts weiter übrig – als ein lebender Kopf, der sich zuckend im Wüstensand drehte und wand und sich in ohnmächtiger Verzweiflung bemühte, den Körper aus dem eisernen Griff des weichen Sandes zu befreien.
Die Verwünschungen, die die spröden, blutenden Lippen ausstießen, verwandelten sich in wahnsinnige Schreie, die um Gnade winselten. Dann sank die Stimme zu einem Schluchzen hinab, aus dem nur ein einziges Wort herauszuhören war: »Nyarlathotep.«
Carnoti starb langsam.
Als der Morgen kam, war er immer noch am Leben. Die Sonne stieg wieder wie ein Feuerball am Himmel auf.
Die sengende Glut kochte Carnotis Blut und schmorte sein Gehirn. Aber die Qualen der brennenden Hölle dauerten nicht lange. Es schien, als hätte er mit übernatürlichen Kräften die Geier zu dieser einsamen Stelle herbeigerufen. Sie kreisten einige Zeit über ihm.
Dann stießen sie hinab.
Und irgendwo lag eine alte Gottheit unter dem Sand begraben. Obwohl der Gott kein Gesicht hatte, drückte er den Anflug eines verstohlenen, bösen und zynischen Lächelns aus. Denn als Carnoti, der Ungläubige, starb, huldigten seine verstümmelten Lippen flüsternd Nyarlathotep, dem Herrscher der Wüste.
Die Axt im Spukhaus
Daisy und ich führten wieder einmal eins unserer beliebten Streitgespräche. In diesem Fall hatte es wegen der Lebensversicherung angefangen; aber als wir mit dem Thema durch waren, kamen wir automatisch in unser übliches
Weitere Kostenlose Bücher