15 Gruselstories
wirkungsvoller von mir geben als dieser komische Zeisig hier, der sich jeden Tag damit beschäftigte. Es klang so abgeschmackt, so fad, so wenig überzeugend. Es war das langweiligste ›Schauerdrama‹, das mir je zu Ohren gekommen war.
Oder –
Ich zuckte unwillkürlich zusammen – oder die Geschichte stimmte. Vielleicht war das die einfachste Erklärung. Bei genauer Betrachtung sprach auch bis jetzt noch nichts dagegen. Denn was besagte die Geschichte denn bis jetzt? Nichts weiter, als daß irgendein Russe seine Frau mit dem Beil erschlagen hatte. So etwas passierte hin und wieder. Und nicht nur bei den Russen. Die Polizeiakten sind voll von solchen Dingen. Unser Komikerfreund hatte nach dem Mord lediglich das Haus erworben, sich die ›Spukgeschichte‹ aus den Fingern gesogen und Kapital daraus geschlagen.
Ich schien mit meiner Vermutung recht zu haben, denn der alte Zwerg Nase fuhr gerade fort:
»So kam es, meine Freunde, daß das Kluva-Haus lange Zeit leer und unbewohnt war. Das heißt, nicht ganz unbewohnt, denn ein Geist lebte hier weiter. Der Geist von Mrs. Kluva – der Dame in Weiß.«
Pfui! Immer mußte es eine Dame in Weiß sein. Warum zur Abwechslung nicht mal in Rosa oder Grün? Die Dame in Weiß – das klang wie der Titel eines drittklassigen Theaterstückes. Aber das war wohl auch so gedacht, denn unser Komikerfreund benahm sich dementsprechend. Er bemühte sich, seine Stimme zu dämpfen, um sie wirkungsvoller klingen zu lassen.
»Sie wandert Nacht für Nacht über den oberen Gang zum Mordzimmer. Ihre aufgeschlitzte Kehle schimmert im Mondlicht. Sie legt ihr Haupt wieder auf den blutüberströmten Block und empfängt erneut die tödlichen Hiebe. Dann kehrt sie mit einem qualvollen Stöhnen in die dünne Luft zurück.«
Du meinst in die heiße Luft, alter Bursche, in die heiße Luft!
»Oh, wirklich?« Daisy seufzte zufrieden.
»Wenn ich gesagt habe, daß das Haus die ganze Zeit über leer gestanden hat, so stimmt das nicht ganz. Hin und wieder sind anfangs Vagabunden und Landstreicher in das Haus eingebrochen, um einen Unterschlupf für die Nacht zu finden. Sie blieben diese eine Nacht – und länger! Denn morgens fand man sie auf dem bewußten Hauklotz … ihre Kehlen waren von der Mordaxt durchschlagen …«
Mir lag eine bissige Bemerkung auf den Lippen. Doch dann siegte mein besseres Ich. Warum sollte ich Daisy den Spaß verderben? Ich sah doch, welche Freude ihr das Ganze machte. Ihr hing förmlich vor Spannung die Zunge aus dem Hals.
»Als sich das herumgesprochen hatte, kam kein Mensch mehr hierher. Selbst die Vagabunden machten einen großen Bogen um das Haus. Es gelang keinem Makler, das Haus an den Mann zu bringen. Doch dann habe ich es gemietet. Mir war klar, daß diese Geschichte die Besucher anziehen würde, und, nun ja, offengestanden, ich bin halt ein Geschäftsmann.«
Gut, daß du das sagst, Bruder. Ich hätte dich sonst womöglich für einen Schwindler gehalten.
»Ich kann mir vorstellen, daß Sie jetzt gerne das Mordzimmer sehen möchten. Bitte folgen Sie mir. Hier geradeaus – die Treppe hinauf. Ich habe alles so gelassen, wie es war, und ich kann Ihnen schon jetzt versichern, daß Sie mehr als interessiert …«
Daisy zwickte mich, als wir uns die dunklen Stufen hinauftasteten.
»O mein Goldschatz, geht dir das nicht auch durch und durch?«
Ich kann es nicht ausstehen, wenn man mich ›Goldschatz‹ nennt. Außerdem fragte ich mich verbissen, was mir wohl ›durch und durch‹ gehen sollte. Es war einfach widerlich, zu sehen, wie Daisy von diesem kompletten Unsinn völlig hingerissen war. Der Mord hatte es ihr so sehr angetan, daß ich sie im Augenblick auch am liebsten ermordet hätte. Wer weiß, was dieser Kluva erst für eine Frau gehabt hatte!
Die Stufen knackten unter unseren
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