15 Gruselstories
diese Macht zu töten, die nur den Göttern vorbehalten ist, aus. Sie versuchen sich auf dieselbe Stufe mit den Göttern zu stellen. Sie nehmen jemandem das Leben. Von dieser Vorstellung geht etwas Ungeheuerliches aus.
Etwas anderes ist es mit einem Schuß, der in plötzlicher geistiger Umnachtung abgefeuert wird, einem Messerstich aus Raserei, einem Zweikampf im Irrsinn des Krieges, einem Unfall, einem Zusammenstoß – das alles sind Dinge, die das Leben leider mit sich bringt. Aber ein Mensch, irgendein Mensch, für den der Gedanke an den Tod nichts weiter als ein Rechenexempel ist; der vorsätzlich und sorgfältig einen kaltblütigen Mord plant …
Was mochte damals in Kluva vorgegangen sein? Vielleicht hatte er eines Tages seiner Frau beim Mittagessen gegenübergesessen und gedacht: Zwölf Uhr. Du hast noch fünf Stunden zu leben, meine Liebe. Dir bleiben nur noch fünf Stunden! Keine Menschenseele weiß etwas davon. Deine Freunde wissen es nicht. Selbst du weißt es nicht. Keiner weiß es – nur ich! Ich und der Tod. Und ich bin der Tod. Ja, ich bin für dich der Tod. Ich werde deinen Körper vernichten und deinen Geist auslöschen. Ich bin dein Herr und Gott. Du bist nur für diesen einen Augenblick geboren worden; du hast dafür gelebt, daß ich jetzt dein Schicksal bestimmen werde. Du hast nur existiert, damit ich dich töten kann.
Meine Gedanken gerieten auf sehr eigenartige Wege. Aber daran waren nur der Hauklotz und die Axt schuld.
Ich glaubte Kluva deutlich vor mir zu sehen. »Komm mit nach oben, meine Liebe.« Er mußte bei seinen Worten innerlich gegrinst haben. Und dann ging es hinauf in das dunkle Zimmer, in dem die Axt und der Klotz warteten.
Ob er seine Frau wohl gehaßt hatte? Wahrscheinlich nicht. Wenn die Geschichte stimmte, hatte er sie für einen bestimmten Zweck geopfert. Er mußte ein Menschenleben opfern. Es war einfach das Bequemste, gleich seine eigene Frau zu nehmen; sie war jederzeit griffbereit. Er mußte statt Blut in seinen Adern Eiswasser gehabt haben.
Es war gar nicht so sehr die Geschichte, die mich beeindruckte, sondern der Raum. Ich konnte Kluva in dem Raum spüren, und ich konnte sie spüren …
Das war komisch, aber ich konnte sie wirklich spüren. Nicht als ein Wesen aus Fleisch und Blut, sondern als eine zwingende Macht. Eine ruhelose, zwingende Macht.
Obwohl ich mich nicht umwandte, wußte ich, daß hinter meinem Rücken irgend etwas vor sich ging. Etwas verbarg sich in den tiefen Schatten. Und etwas verbarg sich unter den eingetrockneten Blutrinnsalen auf dem Hauklotz. Ein gefesselter Geist.
Redete der Alte weiter oder hörte ich sie ?
»Hier bin ich gestorben. Hier hatte alles ein Ende. Eine Minute lang lebte ich hier noch ahnungslos; die nächste erfüllte mich mit tödlichem Grauen. Es gab kein Entrinnen. Die Axt sauste auf eine Kehle nieder, in der junges Blut pulsierte. Jetzt warte ich. Das ist meine einzige Revanche. Ich warte auf andere. Ich bin weder ein menschenähnliches Wesen noch ein Geist – ich bin nur eine Kraft, eine Kraft, die in dem Augenblick entstand, als mit dem Blut auch das Leben aus meiner Kehle floß. Im Sterben fühlte ich nur eins: Haß! Einen Haß, der mich überlebt hat. Der Haß wurde in dem Augenblick geboren, als ich mit vollem Bewußtsein die Ungerechtigkeit, die mir widerfuhr, erkannte. Jetzt warte ich. Hin und wieder habe ich die Möglichkeit, meinem Haß freie Bahn zu lassen.
Wenn ich andere töte, schwillt mein Haß an und wird so stark, daß ich selbst für einen kurzen Moment das Gefühl habe, wieder zu leben. Nur wenn ich mich meinem starken Haß hingebe, kann ich im Tode weiterleben. Deshalb liege ich ständig auf der Lauer; hier, in diesem Raum. Derjenige, der sich hier zu lange aufhält, ist verloren. Denn sobald
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