15 Gruselstories
wischte diese Gedanken beiseite. Heute wollte ich alles vergessen. Ich wollte weder an die unbezahlten Rechnungen noch an Daisys Nörgeln noch an Jeanne denken. Ich muß zugeben, daß mir letzteres besonders schwerfiel. Von Jeanne strahlte Ruhe aus, sie hatte ein eigenes Einkommen, und sie hielt die Babysprache für töricht. Nun ja.
Wir kamen auf die Prentiss Road und schlugen die alte Richtung ein. Ich versuchte das Selbstmitleid, das mich befallen hatte, zu unterdrücken und in Stimmung zu kommen.
Ich schaute Daisy aus den Augenwinkeln an. Sie war glücklich. Darüber konnte überhaupt kein Zweifel bestehen. Wir hatten einen kleinen Koffer dabei. Ohne daß wir darüber gesprochen hatten, wußten wir beide, daß wir in dem Hotel in Valos übernachten würden, das wir vor drei Jahren nach unserer Hochzeit aufgesucht hatten.
Drei Jahre! Drei eintönige Jahre voller Nörgeleien!
Unsinn. Daran wollte ich nicht denken.
Es war gescheiter, Daisys hübsche blonde Locken, die in der Nachmittagssonne schimmerten, anzuschauen oder aber die hübschen grünen Hügel, die in derselben Sonne dasselbe taten. Es war Frühling! Es war der Frühling vor drei Jahren! Und das ganze Leben lag noch vor uns!
Wir fuhren weiter, und ihre Fröhlichkeit verscheuchte meine trüben Gedanken. Als sie auf die altbekannten Zeichen deutete, nickte ich oder grunzte oder brummte ›hm‹.
Als es dämmerte, kam mir zum Bewußtsein, daß wir schon seit einigen Stunden fuhren. Und als die Dämmerung langsam in die Nacht übergehen wollte, hatte ich das dringende Bedürfnis, meine Beine auszustrecken und außerdem –
Da lag es vor uns. Die Tafel war nicht zu übersehen. Selbst wenn es mir entgangen wäre, gab es immer noch Daisy, die in mein Ohr quäkte: »Schau doch nur, Liebling.«
Und der Liebling schaute auf die Tafel.
H ABEN S IE STARKE N ERVEN ?
D AS H AUS DES G RAUENS !
Besuchen Sie das einmalige Spukhaus!
Darunter waren in kleineren Buchstaben weitere Verlockungen aufgezählt.
»Fahren Sie nicht an Kluvas Haus vorbei! Sehen Sie sich das Spukzimmer an – und die Axt, die der wahnsinnige Mörder benutzte! K EHREN DIE T OTEN ZURÜCK ? Versäumen Sie nicht einen Besuch im H AUS DES G RAUENS ! Sie werden es nicht bereuen! Eine einmalige Attraktion! Eintritt 25 Cents.«
Ich konnte das natürlich nicht alles lesen, als wir mit hundertfünfzig Sachen an dem Schild vorbeibrausten. Aber ich hatte auf Daisys Bitte hin gewendet, und während sie mir die Inschrift vorlas, schaute ich auf das alte, verwitterte Holzhaus. Es sah nicht anders aus als Dutzende anderer Häuser, die an der Straße lagen und in denen angeblich ebenfalls Geister, Kobolde und Gespenster ihr Unwesen trieben. Diese Straße war dafür bekannt, daß sich die Bewohner – weil sie keine Gaststätten bauen wollten – als Geisterbeschwörer ausgaben, um damit den Touristen Geld aus der Tasche zu locken. Dieser Bursche hier stellte es besonders geschickt an. Er hatte sich etwas Besonderes einfallen lassen.
Das dachte jedenfalls ich. Wie nicht anders zu erwarten, dachte Daisy aber etwas anderes.
»Liebling, laß uns da hineingehen.«
»Was?«
»Ich bin vom langen Sitzen schon ganz steif. Vielleicht gibt es da auch Würstchen oder so etwas. Ich habe Hunger.«
Nun ja. Das war Daisy. Daisy, die Sadistin. Daisy, der Fan von Gruselfilmen. Sie konnte mich mit ihrem Gerede über heiße Würstchen nicht einen Augenblick lang zum Narren halten. Ich kannte doch meine liebe Frau und ihren etwas eigenartigen Geschmack. Sie war einfach sensationshungrig. Kurz nach der Hochzeit ließ sie alle Schranken fallen und las mir schon zum Frühstück die Berichte über die gräßlichsten Morde vor. Überall im
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