15 Gruselstories
Füßen, und als wir dem watschelnden Witzbold den Gang entlang folgten, tasteten sich durch die verstaubten Fenster ein paar düstere Lichtstrahlen. Draußen mußte sich ein beachtlicher Wind aufgemacht haben. Er fuhr durch die Fugen dieses alten Schuppens; die Balken bogen sich stöhnend.
Daisy kicherte hysterisch. Im Kino pflegte sie mir immer die Ärmelknöpfe von meinem Jackett abzudrehen, wenn das Ungeheuer das Zimmer betrat, in dem das Mädchen schlief. Jetzt, im Moment, war sie genauso aufgeregt.
Ich selber war so aufgeregt wie ein eingelegter Hering.
Unser Komikerfreund öffnete am Ende des Ganges eine Tür. Er verschwand, und man hörte ihn herumrumoren. Als er wieder erschien und uns aufforderte, den Raum zu betreten, hatte er eine brennende Kerze in der Hand. Nun ja, das war schon ein bißchen besser. Das deutete wenigstens auf eine gewisse Phantasie unseres Freundes hin. Eine Kerze macht sich in der Dunkelheit immer recht gut. Ihr Schein wirft zuckende Schatten gegen die Wände und bewirkt, daß man den Eindruck hat, als kröchen in den Ecken geheimnisvolle Gestalten herum.
»Da wären wir.« Er flüsterte diese Worte fast.
Da wären wir also.
Nun kann man mir wahrlich nicht nachsagen, daß ich sehr sensibel bin. Ich bin nicht einmal besonders phantasiebegabt. Wenn Orson Welles seine ›Gruselreportagen‹ mit heiserer Stimme aus dem Radio krächzt, esse ich in aller Seelenruhe mein Steak. Aber als ich jetzt diesen Raum betrat, wußte ich, daß nicht alles an der Geschichte Schwindel sein konnte. Die Luft roch förmlich nach Mord. Die Schatten herrschten über einem Totenreich. Eine Eiseskälte, die Kälte eines Leichenhauses, umgab mich. Die Kerze beleuchtete zuerst ein großes Bett in einer Ecke und bewegte sich dann auf die Mitte des Raumes zu. Der flackernde Schein fiel auf einen riesigen Hauklotz. Der Mörderblock.
Dieser Hauklotz wirkte in gewisser Weise wie ein Altar. Im Hintergrund wölbte sich eine Nische um ihn, in der ich beinahe eine Statue zu sehen glaubte. Wie mochte sie ausgesehen haben? Wahrscheinlich eine gekreuzigte, an den Füßen hängende Fledermaus. War das nicht das Symbol der Teufelsanbeter? Oder war es ein anderes und noch grauenhafteres Götzenbild gewesen? Ich würde es nie erfahren. Die Polizei mochte gute Gründe dafür gehabt haben, es sofort zu vernichten. Aber der Hauklotz war geblieben. Trotz des schwachen Kerzenlichtes konnte ich deutlich erkennen, wie abgenutzt die Oberfläche war. Tiefe Kerben verliefen kreuz und quer über das grobe Holz.
Daisy trat dicht an mich heran, ich konnte ihr Zittern fühlen.
Das war also Kluvas Gemach. Kluva, der Mann, der mit der einen Hand fest die Axt umfaßte und mit der anderen die angsterfüllte Frau auf den Hauklotz preßte. Ich konnte mir vorstellen, wie in seinen Augen der Wahnsinn leuchtete, als er die Axt hob …
»Hier hat Ivan Kluva in der Nacht des zwölften Januar neunzehnhundertvierundzwanzig seine Frau mit einer Axt …«
Der fette Mann stand bei der Tür, als er mit gleichgültiger Stimme seinen Refrain sang. Obwohl ich das nun langsam auch schon wußte, ertappte ich mich dabei, interessiert seinem Singsang zu lauschen. Hier, in diesem Zimmer, wurden seine Worte zur Wirklichkeit. Es waren nicht mehr die Phrasen eines Reklameschilds. Hier, in der Dunkelheit, hatten sie eine Bedeutung. Es hatte einen Mann und seine Frau gegeben. Und einen Mord. ›Tod‹ ist ein Wort, über das man meistens in der Zeitung hinwegliest. Aber es kommt der Tag, an dem sich einem der Tod gegenüberstellt, an dem er zur gräßlichen Wirklichkeit wird. Ähnlich ist es mit Mord. Auch nichts weiter als ein Wort. Aber es bedeutet die Macht zu töten. Aber manchmal üben die Menschen
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