15 Gruselstories
die Dunkelheit hereinbricht, packe ich die Kehlen und schlage mit der Axt zu. Dann kann ich mich wieder für kurze Zeit dem Rausch hingeben, wirklich zu leben.«
Meine Gedanken rissen ab, und der Alte schwieg ebenfalls. Dann leuchtete er mit seiner Kerze plötzlich etwas an, was genau in meiner Blickrichtung war, etwas, das sich hinter der Kerze wie ein schwarzer Schatten abhob.
Es war die Axt.
Ich fühlte mehr als daß ich hörte, wie Daisy ein langgezogenes »Oooh« ausstieß. Ihre blauen Augen wurden dunkel vor Entsetzen. Ich hatte während der letzten Minuten schon eine ganze Menge gedacht und konnte mir in etwa vorstellen, wohin sie sich erst mit ihrer blühenden Phantasie verstiegen hatte.
Diesen alten Zeisig ließ das alles kalt. Er war so gleichgültig wie eh und je. Wahrscheinlich gehörte es zu seiner Routine, in diesem Augenblick die Axt mit der rostigen Klinge zu schwingen, aber mich hatte es gepackt: Ich konnte meinen Blick nicht von der Schneide wenden. Ich sah und hörte nicht, was um mich herum vorging. Für mich existierte nichts weiter als diese Axt, das Symbol des Todes. Sie war der Kernpunkt der Geschichte. Nicht der Mann oder die Frau. Nein, die Klinge dieser teuflischen Axt! Nichts auf der Welt war stärker als diese Klinge. Kein Verstand, keine Macht, keine Liebe und kein Haß könnte ihr widerstehen.
Als der Alte jetzt die Axt herabsausen ließ, schaute ich auf Daisy, auf den Alten und wieder auf Daisy, nur um mei ne finsteren Gedanken zu verbannen. Daisy verdrehte die Augen und machte den Eindruck eines angestochenen Kalbes.
Dann sackte sie zusammen.
Ich konnte sie gerade noch auffangen.
Unser Zwerg Nase schaute ehrlich überrascht drein.
»Meine Frau ist ohnmächtig geworden«, murmelte ich überflüssigerweise.
Er blinzelte verblüfft. Er konnte sich zuerst keinen Grund für die Ohnmacht vorstellen. Aber dann leuchtete es verständnisvoll in seinen Augen auf, und ich hätte schwören können, daß er sich irgendwie geschmeichelt fühlte. Ich glaube, er dachte, daß es an seiner Geschichte lag.
Ich fluchte innerlich. Das würde unsere ganzen Pläne umstoßen. Bis zum Abendbrot würden wir auf keinen Fall in Valos sein.
»Kann sie sich irgendwo ein bißchen hinlegen?« fragte ich. Als er sich suchend umschaute, sagte ich heftig: »O nein! Nicht in diesem Raum!«
»Sie könnte sich in das Schlafzimmer meiner Frau legen«, schlug Zwerg Nase vor. »Es ist am Ende des Ganges.«
Das Schlafzimmer seiner Frau! Wie haben wir’s denn? Hatte er nicht gesagt, daß es kein Mensch wagte, nach Anbruch der Dunkelheit hier zu bleiben? Verdammter alter Schwindler!
Aber jetzt war keine Zeit für Spitzfindigkeiten. Ich rieb Daisys Handgelenke und trug sie in das Zimmer.
»Soll ich meine Frau herauf schicken, damit sie sich um sie kümmert?« fragte der nunmehr besorgte Komiker.
»Machen Sie sich keine Umstände. Ich kriege das schon hin. Ich weiß, wie ich sie in dieser Verfassung behandeln muß. Sie wird öfter ohnmächtig – sie ist ein bißchen hysterisch, müssen Sie wissen. Aber sie wird sich eine Weile ausruhen müssen.«
Er entfernte sich schlurfend.
Ich saß fluchend an Daisys Bettrand. Verdammt! Das war typisch für sie. Aber mein Fluchen nützte jetzt herzlich wenig. Ich beschloß, sie die Ohnmacht ausschlafen zu lassen.
Ich tastete mich über die dunkle Treppe nach unten. Schon auf halbem Wege hörte ich ein vertrautes Pladdern auf dem Verandadach. Aha, da kam also einer der bekannten Regengüsse der Westküste herunter. Um mich zu vergewissern, schaute ich aus der Tür. Und ich hatte mich nicht getäuscht. Es goß in Strömen und war zudem dunkel wie bei einem Weltuntergang. Fabelhaft!
Das paßte alles ausgezeichnet zusammen. Die Kulisse war wie geschaffen
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