15 Gruselstories
erinnerte, handelte es sich bei diesen Figuren um historische Persönlichkeiten oder Personen der Zeitgeschichte. Er glaubte sich an einige Generäle, Staatsmänner und Filmschauspieler zu erinnern. Das war bisher Bertrands einzige Bekanntschaft mit Wachsfiguren gewesen, wenn man von den abscheulichen Wachsklumpen absieht, die er in seiner weit zurückliegenden Jugendzeit einmal in einem Wanderzirkus gesehen harte (Bertrand war jetzt dreiundzwanzig).
Aber ein kurzer Blick genügte, um festzustellen, daß sich diese Wachsfiguren hier von allen anderen grundsätzlich unterschieden.
Bertrand betrat einen langgestreckten, breiten Raum. Er blieb einen Augenblick verblüfft stehen, denn er hatte eine so großzügige Anlage der Ausstellung in dieser Gegend nicht vermutet. Aber der Raum war niedrig, und der Nebel, den man hinter den schmalen Fenstern sehen konnte, ließ die ohnehin schon schwache Beleuchtung noch dürftiger erscheinen. Doch dieses Schummerlicht unterstrich wirkungsvoll die düstere Atmosphäre. Eine Garde stummer weißer Figuren hob sich von den schmutzigen Wänden ab – Figuren, die ihre starren Blicke auf Bertrand gerichtet zu haben schienen, Figuren, die mumifiziert, versteinert, verknöchert und in der Bewegung eingefroren waren …
Als Bertrand hinausraste, um sich einen Katalog zu kaufen, gestand er sich selbst schuldbewußt ein, daß er das nur tat, um den ersten Eindruck, den diese Wachsfiguren auf ihn gemacht hatten, zu verdauen.
Denn die Figuren schienen nicht nur in ihrer Bewegung erstarrt zu sein; ihre Haltung drückte auch – eine unheimliche Erwartung aus. Es schien, als wären sie gerade gestorben oder als wären sie bei ihrer Tätigkeit plötzlich zu Eis erstarrt und jeden Augenblick könnte das Eis anfangen zu schmelzen.
Sie wirkten unheimlich natürlich. Und sollten sie wirklich irgendwelche Fehler haben, so würden sie durch die Lichteffekte nicht ins Auge fallen.
Bertrand straffte die Schultern und begann seinen Rundgang. Er widmete sich zuerst der linken Wand und schaute sich jede einzelne Gestalt oder Figurengruppe genau an.
Die ganze Ausstellung war eine Veranschaulichung des Grauens. Das Verbrechen war Thema Nummer eins. Und es waren die grauenvollsten und perversesten Mordfälle, die bildlich dargestellt wurden. Man konnte sehen, wie sich der Unmensch Landru nachts über seine schlafende Frau stürzte und wie der wahnsinnige Tolours im Keller mit einem blutigen Messer in der Hand seinem kleinen Sohn auflauerte. Dann gab es ein Ruderboot, in dem drei Männer waren. Einer von ihnen hatte keine Arme, keine Beine und keinen Kopf, während sich die beiden anderen an einem kannibalischen Festschmaus ergötzten … Gilles de Retz stand vor dem Altar. Er hielt eine Schale an seine Lippen, sein Bart war vom Blut rot gefärbt, und sein Opfer lag zerrissen vor seinen Füßen … Eine Frau, die man in einem Kerker an ein Rad gebunden hatte, krümmte sich halb wahnsinnig vor Angst und starrte mit glasigen Augen auf die Ratten, die sie umkreisten … Einem Mann, der am Galgen hing, wurde bei noch lebendigem Leibe die Haut abgezogen … Der Mörder Vardac wurde festgenommen. Neben ihm stand ein Koffer, aus dem ein rotes Rinnsal lief …
Die ganzen Darstellungen wiesen eine teuflische Perfektion auf.
Es überlief Bertrand ein eiskalter Schauer, als er das alles betrachtete. Es waren weniger die Szenen als solche, die ihm Unbehagen einflößten, als die naturgetreue Wiedergabe. Derjenige, der die Figuren geformt hatte, mußte die Greueltaten wahrlich echt nachempfunden haben. Außerdem mußte er sich genau informiert
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